Byrne & Balzano 4: Septagon
anderen Job machen. Da kannte Jessica sich aus.
Byrne trat durch die Eingangstür ins Haus. Nachdem er vom Roundhouse zurückgekehrt war, hatte er sich kurz in der Gegend umgehört.
»Hast du was erfahren?«, fragte Jessica.
Byrne schüttelte den Kopf. »Unglaublich, aber keiner in dem verdammten Häuserblock hat jemals gesehen oder gehört, dass in diesem oder einem anderen Haus ein Verbrechen verübt wurde.«
»Und genau nebenan ist eine Gedenkstätte für ein totes kleines Mädchen.«
»Trotzdem.«
»Ein Treffer bei den Vermisstenmeldungen?«
»Bis jetzt nicht.«
Jessica durchquerte die Küche und ging zur gegenüberliegenden Seite, wo die Arbeitsplatte stand. Sie trommelte mit den Fingernägeln auf die abgenutzte Oberfläche, um auf ihre Nägel aufmerksam zu machen. In letzter Zeit wurde sie immer mehr zu einer richtigen Tussi und übernahm das Verhalten ihrer sechsjährigen Tochter. Seit ungefähr einem Jahr kaute Jessica nicht mehr an den Fingernägeln – eine schlechte Angewohnheit, die sie sich in der Kindheit zugelegt hatte. Und erst seit Kurzem ließ sie sich die Nägel in einem Nagelstudio namens Modern Nails im Nordosten maniküren. Ihre Nägel waren kurz – das musste in ihrem Job so sein –, sahen aber gut aus. Im Augenblick. In diesem Monat waren sie violett lackiert. Wie mädchenhaft konnte man sich in ihrem Alter eigentlich aufführen? Sophie Balzano jedenfalls fand das gut. Byrne hatte sich noch nicht dazu geäußert.
Ein uniformierter Polizist betrat das Reihenhaus. »Detective Byrne?«
»Ja?«
»Da ist ein Fax für Sie gekommen.« Er reichte Byrne ein Couvert.
»Danke.« Byrne öffnete den Umschlag, zog ein einseitiges Fax heraus und las es.
»Was ist los?«, fragte Jessica.
»Würde es dir gefallen, wenn dein Tag eine kleine positive Wende nimmt?«
Jessicas Gesicht hellte sich auf wie das eines Kindes, das hört, wie der Eiswagen durch die Straße fährt. »Gehen wir schwimmen?«
»Eine kleine positive Wende, hab ich gesagt.«
»Okay. Ich höre.«
»Ich habe Paul DiCarlo angerufen und ihn gefragt, ob jemand aus dem Büro des Staatsanwalts den Besitzer dieses Hauses ausfindig machen könnte.«
»Was haben sie herausgefunden?«
»Nichts. Für das Haus zahlt seit Jahren keiner mehr Steuern.«
»Und warum ist das eine gute Nachricht?«
»Sag ich dir gleich. Paul hat einen Mann von der Baubehörde kontaktiert, und der hat gesagt, dass er in den letzten fünf Monaten einmal im Monat einen anonymen Anruf wegen des Hauses erhalten hat. Der Anrufer hat jedes Mal gesagt, das Haus müsse abgerissen werden.«
Die Baubehörde von Philadelphia war für die Einhaltung der Bauvorschriften verantwortlich. Sie war auch berechtigt, leer stehende Häuser abzureißen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten.
»Haben wir Informationen über den Anrufer?«, fragte Jessica.
Byrne reichte ihr das Fax. »Haben wir. Der Typ von der Baubehörde hat die Nummer, die auf seinem Display angezeigt wurde, nach dem fünften Anruf aufgeschrieben.«
Jessica las das Fax durch. Die Telefonnummer gehörte einer Laura A. Somerville. Sie wohnte in der Locust Street. Die Hausnummer ließ erkennen, dass die Straße sich in West-Philadelphia befand.
Jessica schaute die Treppe hinauf zu den Kollegen der Spurensicherung, die mit der mühseligen Aufgabe begannen, gründlich den Müll zu durchsuchen, der sich hier seit Jahren angesammelt hatte. Jessica fragte sich, was sie da oben finden und welche Verbrechen dort wohl verborgen waren, die nach Aufklärung schrien.
Sie würde wieder hierher zurückkehren. Irgendwie war sie sich ganz sicher.
Die beiden Detectives unterschrieben das Tatortprotokoll und fuhren nach West-Philadelphia.
7.
Zwei Monate zuvor
Im Midtown IV Restaurant in der Chestnut, das rund um die Uhr geöffnet hatte, bestellte Eve sich einen Cheeseburger und Pommes. Die männliche Bedienung warf ihr anzügliche Blicke zu. In dem Lokal roch es nach Schweiß, Kaffee und gebratenen Zwiebeln. Eve schaute auf die Uhr. Zwanzig nach zwei. Es war ziemlich voll. Sie drehte sich auf ihrem Hocker um und ließ den Blick über die Menge schweifen. Ein junges Paar Anfang zwanzig saß auf derselben Seite einer Nische in ihrer Nähe. Mit zwanzig sitzt man auf derselben Seite, dachte Eve. Mit dreißig sitzt man sich gegenüber, aber man unterhält sich noch. Und ab vierzig kaufen die Leute sich eine Zeitung.
Um zwanzig vor drei tauchte zu ihrer Rechten ein Schatten auf. Eve drehte sich um. Das
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