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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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Stockwerke tiefer lag Laura Somerville auf dem heißen Bürgersteig der Locust Street. Ihr Kopf war eine blutige Masse, ihr Körper ein Puzzle aus zerfetzten Gliedern. Aus dieser Höhe ähnelte ihr Körper einem dunkelroten Rorschach-Klecks. An der Unglücksstelle versammelten sich bereits Schaulustige.
    Byrne rief über Funk einen Rettungswagen.
    Jessica blickte auf den Schreibtisch in der Ecke. Er war alt, aber nicht antik, abgenutzt, aber gepflegt. Auf dem Schreibtisch standen eine Tiffany-Lampe, zwei kleine Schwarz-Weiß-Fotos in einem glanzlosen silbernen Doppelrahmen und ein altes Scrabble-Brett. Als Jessica genauer hinschaute, sah sie, dass die Wörter auf dem Brett verschoben waren. Die Buchstaben lagen nicht mehr auf ihren Feldern, sondern ein kleines Stück daneben. Ein paar Steine waren auf den Stuhl und den Boden unter dem Schreibtisch gefallen, als hätte jemand hastig ein paar Buchstaben von dem Brett genommen.
    »Jessica.«
    Byrne wies auf die Fensterbank. Dort lagen vier Scrabble-Buchstabensteine. Offenbar hatte jemand in aller Eile ein Wort gebildet, denn die Holzbuchstaben lagen krumm und schief nebeneinander.
    Jessica versuchte sich ein Bild davon zu machen, was sich hier abgespielt hatte. Vor wenigen Minuten hatte Laura Somerville dieses Zimmer betreten, hastig vier Buchstaben vom Scrabble-Brett heruntergenommen, sie auf die Fensterbank gelegt und sich dann in den Tod gestürzt. Plötzlich begann Jessica trotz der schwülen Luft, die ins Zimmer strömte, zu frieren.
    »Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«, fragte sie.
    Byrne starrte ein paar Sekunden lang auf die seltsame Kombination der vier Buchstaben. »Nein.«
    In diesem Augenblick ertönte ein paar Blocks entfernt eine Sirene. Jessica schaute wieder auf die Scrabble-Buchstaben auf der Fensterbank.
    Das Wort sagte ihr nichts.
    Ludo.
    Der Fall wurde von Sekunde zu Sekunde rätselhafter. Soeben hatte sich eine Frau, die mit den Ermittlungen in einem vor vier Monaten verübten Mord nur am Rande zu tun hatte – falls überhaupt –, dreißig Meter in die Tiefe gestürzt, nachdem die Polizei an ihre Tür geklopft hatte. Doch nicht nur das war rätselhaft; hier stimmte noch etwas nicht.
    Byrne zog sein Handy aus der Tasche und klappte es auf, um ihren Chef anzurufen. Doch ehe er die Nummer gewählt hatte, legte Jessica ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn, da ihr ein verräterischer Geruch in die Nase stieg.
    Es dauerte keine Sekunde, da wusste Jessica, was es war. Als ihr der Gestank verbrannter Baumwolle und glimmenden Holzes in die Nase stieg, musste sie würgen.
    Sie schaute Byrne an. Die beiden Detectives verständigten sich wortlos und rannten aus dem Schlafzimmer, als das Feuer die Bettdecken erfasste und auf das Wohnzimmer übersprang.
    Die Wohnung stand in Flammen.

9.
    S TUNDEN SPÄTER STAND Joseph Edmund Swann, achtunddreißig Jahre alt, im großen Treppenhaus und lauschte den Geräuschen seines Hauses, den geheimnisvollen Echos seines Lebens: dem Pochen seiner antiken Freadwin of Exeter-Standuhr, dem Knarren der uralten Balken und Dachsparren, dem klagenden Säuseln des Sommerwindes in den Dachvorsprüngen. Dies war sein nächtliches Ritual, und er wich niemals von seinen Gewohnheiten ab. Er hatte immer geglaubt, dass Faerwood ein lebendes Wesen mit Blut in den Adern sei, mit einem Herzen, einer Seele und einem Verstand. Schon vor langer Zeit hatte er die zahlreichen Gesichter dieses Hauses personifiziert und der Wandvertäfelung, den Schieferziegeln, den Messingarmaturen und den vielen Steinherzen Leben eingehaucht.
    Swann war ein hagerer, aber kräftiger Mann von durchschnittlicher Größe, mit tiefblauen Augen und hellem Haar, das noch von keiner grauen Strähne durchzogen war.
    Als er sechs Jahre alt war, hatte eine Frau aus Galveston, eine alternde, beleibte Zirkusakrobatin mit feuerroten Zöpfen und schlecht sitzenden Zähnen – die Attraktion einer ungarischen Zigeunertruppe –, sein Profil als »zwitterartig« bezeichnet. Joseph war damals zu jung gewesen, um die Bedeutung des Wortes zu begreifen, doch es rief unheimliche Vorstellungen wach, die seinen Argwohn weckten. Am Ende seiner Kindheit musste er zahllose Avancen sowohl von Männern als auch von Frauen fragwürdigen Charakters zurückweisen. Als Jugendlicher war er dem Reiz einer exotischen Tänzerin im französischen Viertel von New Orleans erlegen, einer jungen Frau, die ihn anschließend als oiseau féroce bezeichnete. Erst Jahre später hatte er erfahren,

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