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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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seiner Truppen und schlug den Weg nach Bursa ein, entschlossen, um seine Macht zu kämpfen. So jung er auch war, niemand sollte sich der gefährlichen Illusion hingeben, sich auf seine Kosten bereichern zu dürfen. Aber seine Streitmacht war klein, vielleicht zu klein. Das würden die Ereignisse zeigen. Seine Klugheit und sein Mut jedoch genügten für diese Aufgabe.
    Loukas stand jetzt allein im Thronsaal. Der Palast wirkte wie entvölkert, geradezu gespenstisch. Er aber war jetzt frei.

40
    Kaiserpalast, Konstantinopel
    Auch im Palast des Kaisers hatte man inzwischen erkannt, dass es nicht das Haupt von Loukas Notaras war, das honigverklebt vor ihnen lag. In den Strahlen der Sonne konnte man den abgeschlagenen Kopf für eine Bronzebüste halten.
    Eirene lebte in den nächsten Tagen zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Der Erste Minister hatte den Toten zwar als Mitarbeiter seines Amtes identifiziert. Doch was hieß das? Schickte Murad die Köpfe der Gesandtschaft einen nach dem anderen zurück nach Konstantinopel und erst zum Schluss das Haupt des Kapitäns? Lebte Loukas noch, befand er sich in Haft? Die Situation verwirrte Eirene.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben vermochte sie nicht zu entscheiden, was sie glauben und woran sie zweifeln sollte, was sie hoffen durfte und was sie zu fürchten hatte. Sie fühlte sich wie in einem Sturm auf hoher See, in dem es kein Oben und kein Unten mehr gab. Der Vergleich zauberte ihr wider Erwarten ein Schmunzeln auf die Lippen, denn sie hatte noch nie einen Sturm auf dem Meer erlebt, sondern griff auf die Erfahrungen ihres Mannes zurück, die er in seinen Geschichten so anschaulich gestaltet hatte. Aber nach dem Schmunzeln stellte sich der Schmerz ein, den die Sehnsucht nach seiner Stimme, seiner beschwingten Redeweise, seinen wohlgesetzten Pausen, seinem spitzbübischen Lächeln, wenn er spürte, dass er seine Zuhörer am Haken hatte, verursachte. Begleitet von einem Ziehen des Herzmuskels fragte sie sich, ob sie je wieder Worte aus seinem Mund vernehmen oder süßer, dicker Honig stattdessen seine Lippen auf ewig versiegeln würde. Unwillkürlich berührten in einer schnellen, mädchenhaften Bewegung ihre Finger den Mund, als fürchtete sie, den Gedanken ausgeplaudert zu haben, den sie doch zu verdrängen suchte. Solange sie ihre Ängste nicht aussprach, bildete sie sich ein, besäßen sie keine Möglichkeit, sich zu verwirklichen, und würden allmählich im Innern ihres Körpers verkümmern, freilich nicht ohne sie dabei zu peinigen. Schweig und denke nicht dran, sorge dafür, dass dieses schlimme Wort nicht ausbricht und über uns alle herfällt! Doch dann verspottete sie ihr eigener Realitätssinn. Wenn der Mond am Himmel stand, half es nicht, die Augen zu verschließen, er würde dennoch leuchten und sich keine Handbreit von seinem Platz fortbewegen. Es überraschte sie, zu welcher Wunderlichkeit sie auf einmal fähig war.
    Um nicht den Verstand zu verlieren, kümmerte sich Eirene gemeinsam mit Thekla um Demetrios, dessen körperliche Wunden langsam heilten. Einmal wurde sie Zeuge, wie Nikephoros schuldbewusst ins Zimmer trat. Endlich hatte er seine Scham überwunden und sich dazu durchgerungen, das Gespräch mit seinem Sohn zu suchen. Sie wollte schon aufstehen und die beiden allein lassen, doch der Junge griff mit einer Kraft, die sie ihm nicht zugetraut hatte, nach ihrem Unterarm. Kühl und nass schlossen sich seine Finger wie ein Eisenring um ihr Handgelenk, sodass ein blauer Fleck blieb. Der Körper des Jungen bebte. Als Nikephoros erkannte, wie sehr sein Sohn sich vor ihm fürchtete, floh er mit gesenktem Haupt aus dem Zimmer. Eirene spürte, dass sie etwas sagen musste, und wusste nur zu gut, dass jedes Wort nur hohl klingen konnte angesichts des Vorgefallenen.
    »Dein Vater würde den Tag am liebsten ungeschehen machen.«
    »Ich auch«, sagte Demetrios.
    »Kannst du ihm verzeihen?«
    »Ich habe ihm schon verziehen.«
    »Was ist es dann?«
    »Ich habe einfach Angst in seiner Gegenwart.«
    »Es wird nie wieder geschehen.«
    »Ich weiß, aber trotzdem habe ich Angst. Und er hat ja auch recht.« Eirene warf ihm einen erstaunten Blick zu.
    »Loukas ist doch viel tüchtiger und viel wertvoller als ich. Und …«
    »Was und?«
    »Mein Vater liebt ihn und hasst mich.«
    Eirene hätte ihm so gerne widersprochen und ihn davon überzeugt, dass Nikephoros die gleiche Liebe, die er für seinen älteren Sohn aufbrachte, auch für seinen jüngeren hegte. Aber sie brachte es

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