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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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nicht übers Herz, Demetrios zu belügen.
    »Dein Bruder kommt zurück, glaub mir«, sagte sie stattdessen.
    Immer wieder erzählte sie ihrem jungen Schwager, dass Loukas zurückkehren würde, denn sie spürte, dass die Hoffnung ihm, aber auch ihr guttat. Sie sprach mit einer so großen Überzeugung, dass sie, zumindest solange sie an seinem Bett saß, selbst ihren Verheißungen Glauben schenkte. Aber dann kam die Nacht, und die Einsamkeit in dem großen Ehebett, vor der sie sich fürchtete, erwartete sie bereits wie ein unentrinnbares Verhängnis. Sie hätte nicht entscheiden können, ob sie die Erinnerungen oder die Angst stärker peinigte. In diesen schlaflosen Stunden der Nacht, die sie quälten, weil sie aus Ewigkeit gemacht schienen, fasste sie schließlich den Entschluss, nach Edirne zu reiten, um Loukas zu suchen. Doch sie verwarf die Idee sogleich wieder, weil sie fürchtete, dass sie sich verpassen könnten. Womöglich wäre sie weit weg von Konstantinopel, wenn er durch die Türen des Palastes schritt. Dann träumte sie wieder davon, wie es wäre, wenn sie die Treppen hinunterlaufen und aus dem Palast treten würde – und dann stünde er plötzlich da mit seinem jungenhaften Lächeln, so, als sei nichts geschehen. Aber es gab noch einen Grund, der schwerwiegendste von allen, weshalb sie nicht reiten durfte. Unter keinen Umständen durfte sie sein Kind, das sie trug, ihr Kind, gefährden. So gewann sie die heranwachsende Frucht in ihrem Leib noch lieber. Selbst wenn Loukas die Welt verlassen hatte, blieb ein Teil von ihm zurück, um eines Tages den Platz seines Vaters einzunehmen.
    Doch es kam ganz anders, anders, als sie es sich vorgestellt hatte.
    Als sie an einem Morgen wie üblich den Palast verließ, um in der Hagia Sophia zu beten, sah sie aus den Augenwinkeln einen Türken in Kaftan und mit gelbem Turban auf sich zukommen. Zuerst wunderte sie sich, dann regte sich die Hoffnung in ihr, dass der Mann eine Nachricht von Loukas brachte – und fürchtete es zugleich, denn es konnte ja auch eine Todesbotschaft sein. Sie riss sich zusammen, sie wollte die Nachricht empfangen, ganz gleich, worin sie bestand.
    »Erkennst du mich nicht mehr?«, rief der Fremde ihr zu.
    Diese Stimme klang wie ein Halleluja in ihren Ohren. Jetzt erst wandte sie sich ganz dem vermeintlichen Osmanen zu und erkannte in der fremdartigen Verkleidung ihren Mann. Als fielen alle Fesseln von ihr ab und auch die Schwerkraft der Erde, stürmte sie auf ihn zu, als flöge sie, und fiel ihm um den Hals.
    Die stürmische Umarmung der Griechin und des Türken erregte die Aufmerksamkeit der Passanten. Einige mokierten sich darüber, dass eine vornehme Christin einen armen Muslim in aller Öffentlichkeit liebkoste, und verurteilten die schamlose Sünderin – so weit war es in ihren Augen in der einst tugendhaften Stadt gekommen, moralischer Verfall, wohin man auch sah! Eirene und Lukas jedoch kümmerte das Bild, das sie abgaben, herzlich wenig, denn die Welt stand für sie still, und nichts außer ihnen existierte in diesem Augenblick. Sie küssten einander. Dann rief sie immer wieder: »Du lebst, du lebst, du lebst«, und bekam doch nicht genug von dem einfachen Satz.
    »Ja, ich lebe, auch wenn ein anderer dafür sterben musste«, sagte er schließlich mit Bitterkeit in der Stimme und erzählte ihr, wie es ihm ergangen war. Sie hörte es und hörte es doch nicht. Loukas war wieder zurück, nur das zählte, nur darauf kam es an. Gott hatte ihre Gebete erhört. Ihr wurde ganz schlecht vor Glück. Der Kapitän spürte, dass seiner Frau die Knie weich wurden.
    »Komm«, sagte er, »ich will Vater und Mutter und Demetrios begrüßen.«
    Über ihr Gesicht zog ein Schatten. Sie hielt ihn zurück. Fragend schaute er sie an. »Ist jemand krank oder …«, fragte er.
    Eirene schüttelte den Kopf, dann berichtete sie ihm mit knappen Worten, zu welcher Katastrophe es zwischen Vater und Sohn gekommen war. Loukas erblasste. »Wie konnte das nur passieren?«
    »Verzeih, aber du musst es wissen, bevor du den Palast betrittst.«
    »Ja, ja«, sagte er wie von fern. Auch zu Hause gab es also viel zu tun. Er kehrte nicht ins Paradies zurück.
    Noch bevor er Vater und Mutter begrüßte, begab er sich in das Zimmer seines Bruders. Es brach Loukas fast das Herz, den Jüngling mit den Prellungen im Gesicht und am Hals im Bett wie einen verängstigten Vogel mit gebrochenen Schwingen wiederzusehen. Aber zumindest das linke Auge strahlte, als der Jüngere ihn

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