Byzanz
erkannte. Dann gluckste er trotz Schmerzen: »Wie siehst du denn aus?«
Loukas sah an sich herab. »Wie ein waschechter Muslim.«
»Eher wie mein verkleideter Bruder. Wie ein Schauspieler.«
Ja, wie ein Schauspieler, der um sein Leben gespielt und dabei seinen Bruder verwundet hatte, dachte Loukas bitter, bevor er Demetrios vorsichtig umarmte.
»Ich bringe das wieder in Ordnung.«
»Aber dich trifft doch keine Schuld. Die Hauptsache ist doch, dass du wieder zurück bist.«
»Was mische ich mich auch in die große Politik.«
»Das hast du ja nicht für dich, sondern für die Familie, für uns alle getan. Du bist ein Held, Loukas.«
»Nein, bin ich nicht, Bruderherz, du bist ein Held!«
»Ich?« Demetrios meinte, sich verhört zu haben.
»Ja, du! Denn du hast dich nicht von deiner Bestimmung abbringen lassen.«
»So mutig war das nicht. Ich habe ja nicht mit dem Vater darüber gestritten, sondern ihn belogen.«
»Du hast getan, was du glaubtest, tun zu müssen, ohne auf die Folgen Rücksicht zu nehmen. Das ist das Schwerste. Ich bin wirklich stolz auf dich.«
Es war Demetrios anzusehen, wie gut ihm die Anerkennung des Bruders tat.
41
Notaras-Palast, Konstantinopel
Nachdem Loukas seinen Eltern ausgiebig Rede und Antwort gestanden hatte, zog sich Nikephoros mit seinem ältesten Sohn in sein Arbeitszimmer zurück. Dort überfiel beide, kaum, dass der Alte die Tür geschlossen hatte, eine gewisse Peinlichkeit. Dabei war es in der Kindheit des Kapitäns immer einem Fest gleichgekommen, wenn er den Vater in seinem Arbeitszimmer besuchen durfte oder der alte Seeräuber ihn ins Allerheiligste mitnahm. Allein hatte er dieses Zimmer nicht betreten dürfen. Als Symbol ihrer Vertrautheit übte dieser Raum bis auf den heutigen Tag eine magische Wirkung auf Loukas aus.
Nun setzten sie sich in die Lehnstühle aus schwarzem Ebenholz, die der Tischler mit aufwendigen Schnitzereien verziert hatte, und belauerten sich wie Katzen. Es war Abend geworden. Dämmer tröpfelte langsam, doch unaufhaltsam in den Raum, aber sie zündeten weder Kerzen noch Öllichter an. Loukas spürte, dass es einzig und allein an ihm lag, den richtigen Ton zu treffen. Dabei fühlte er sich doppelt befangen, denn er liebte Bruder und Vater gleichermaßen. Es gelang ihm noch immer nicht, sich vorzustellen, dass der Mann mit dem aus der Mode gekommenen Vollbart, der besonders an den Wangen wucherte, und dessen ganzes Wesen eine kluge Freundlichkeit, ja eine gewisse Leutseligkeit ausstrahlte, seinen zweiten Sohn so brutal misshandelt haben sollte, und doch war dies die nackte Wahrheit. Wie gut konnte man eigentlich Menschen kennen, wenn sich bereits im engsten Familienkreis unerwartet diese Abgründe auftaten? Wem durfte er denn noch trauen, wenn nicht einmal dem geachteten, verehrten und geliebten Vater, den er zeit seines Lebens zum Vorbild hatte, bestrebt, ihm nachzueifern? Wenn sich ihm nur der geringste Anhaltspunkt böte, würde er liebend gern diesen absurden Ausbruch ins Reich der Lügen verbannen. Aber niemand stritt das Geschehene ab.
Der Kapitän fuhr mit geblähten Segeln in eine emotionale Großwetterlage aus Scham, Ekel und Traurigkeit. All diese Gefühle, die seine Seele geentert hatten, würde er überwinden müssen, denn es nutzte doch nichts, wie sein Verstand ihm sagte, sich von dem, was vorgefallen war, fesseln zu lassen. Musste man sich nicht gerade dann gegen seine Gefühle wenden, wenn sie ihre größte Kraft entfalteten?
Eines stand fest, weder Verschweigen noch sich über den Vorfall auszusprechen half weiter. Um den Weg aus diesem Labyrinth der Schuld, der Schuldlosigkeit und der Scham zu finden, benötigte er Fingerspitzengefühl und vor allem Zeit. Wunden verlangten danach, versorgt zu werden, aber sie benötigten auch Ruhe, um von allein zu heilen. Seine wichtigste Aufgabe sah Loukas Notaras darin, die Familie zu retten. Sie alle brauchten doch einander. In der Welt ging es übel zu, und Besseres als die Notaras hatte er nirgendwo gesehen.
Er schlug sich leicht mit beiden Händen auf die Oberschenkel und eröffnete die Unterhaltung mit unverfänglichen Geschäftsthemen, mit Zahlen und seiner Planung für die Vergrößerung der kleinen Flotte des Handelshauses. Schließlich eröffnete er seinem Vater, dass er sich vollständig aus der Politik zurückzuziehen gedachte, doch der alte Seeräuber gab zu bedenken, dass die Geschäfte des Hauses längst eine Dimension erreicht hätten, wo sie ohne politische Einflussnahme
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