Byzanz
zerstört hatte. Behutsam verwahrte sie den Brief in einem Zedernholzkästchen, legte danach ihren Schmuck ab und nur das kleine Kreuz an. Dann stürmte sie in den Hof, ließ ein Pferd satteln und ritt im scharfen Galopp los. So kam es, dass sie kurz nach Nikephoros im kaiserlichen Palast eintraf. Ein Offizier der Wache trat ihr in den Weg.
»Weißt du Dummkopf nicht, wer ich bin? Ich lass dich ersäufen, wenn du mich nicht sofort zu meinem Großvater und meinem Onkel lässt!«
Der Offizier schrak vor dem Feuer in Eirenes Augen zurück. Sie rannte die Treppen hoch. Seit ihren Kindertagen kannte sie die Wege im Palast und stürmte wenig später in den Geheimen Besprechungssaal. Die Atmosphäre war gespenstisch. Der Kaiser, der Mitkaiser, zwei Offiziere, der Erste Minister und Nikephoros standen wie angewurzelt um einen Tisch herum, als wäre das Leben aus ihnen gewichen und sie nur noch Statuen, während zwei Soldaten der Palastwache sich ungeschickt bemühten, einen abgeschlagenen Kopf aus einem großen Tonkrug zu fischen. Das Unterfangen stellte sich als schwierig heraus, da der Kopf in Honig eingelegt war. Er glitt den Soldaten aus den Händen und polterte auf den Boden, wobei Honig herumspritzte und der Schädel nach links rollte. Eirene spürte, wie sie das Bewusstsein verlor. Das Geräusch, das ihr Körper beim Aufschlag verursachte, löste die Erstarrung der Männer.
39
Palast des Emirs, Smyrna, Anatolien
Man konnte Dschuneid anmerken, wie sehr er es genoss, im Park seines Palastes in Smyrna zu spazieren, nachdem er endlich sein Emirat zurückerobert hatte. Mit viel Klugheit, die Neider allerdings als List und Tücke verunglimpften, hatte er sich diese Herrschaft erkämpft und sie schließlich, nachdem ihn der verstorbene Sultan enteignet hatte, zurückgewonnen. Neben ihm ging Alexios, gefolgt von seinem treuen Kuvasz. Der Emir zählte dem Fürsten auf, wer alles auf der Seite Mustafas gegen den jungen Sultan Murad, gegen das Kind, wie Dschuneid spottete, in die Schlacht ziehen würde. Mustafa selbst sammelte Truppen in Rumelien und würde demnächst nach Anatolien übersetzen, um Bursa, die alte Hauptstadt, einzunehmen. Die Siegesgewissheit, die dem alten Fuchs aus jeder Pore drang, steckte auch Alexios an. Erst fällt Murad, dann Johannes, dachte der Fürst, während er der beeindruckenden Auflistung lauschte. Vor seinem geistigen Auge entstand eine neue Welt. Und er war einer ihrer Protagonisten.
»Mehmed ist zu früh gestorben, um die Macht seinen Söhnen zu übergeben«, schloss der Emir seinen Bericht. Die Leichtigkeit – oder sollte man besser sagen die Leichtfertigkeit –, mit der Dschuneid über den Verrat an seinem Herrscher sprach, verblüffte Alexios umso stärker, weil auch er sich mit dem Problem der Loyalität herumschlug. Denn um Kaiser zu werden, würde er eines Tages die kaiserliche Familie verdrängen müssen. Bisher hatte er sich als Rechtfertigung zurechtgelegt, dass auch die Angeloi einmal die Kaiserkrone getragen hatten, die von den Komnenen und diesen wiederum von den Palaiologen entwendet worden war – was nichts anderes hieß, als dass der Verrat verraten würde. Im Grunde holte sich Alexios nur wieder, was seiner Familie einst geraubt worden war.
»Was sagt eigentlich der Koran dazu, dass Ihr Euren Herrn verratet, betrügt und belügt?«, fragte der Fürst. Doch Alexios täuschte sich in der Vermutung, dass er damit den Emir in Verlegenheit bringen würde. Dschuneid streichelte seinen dünnen Bart mit Daumen und Zeigefinger und lächelte verschmitzt, wobei seine Augen tatsächlich feixten, was sie sonst nie taten, wenn er lachte. »Gegenüber den Ungläubigen ist jedes Mittel erlaubt.«
»Aber Murad ist Muslim«, wandte der Fürst erstaunt ein, merkte sich jedoch diesen Satz, denn er musste ja auf ihn als Christ weit stärker zutreffen als auf den Sultan.
»Er ist Sunnit. Seine Glaubensbrüder haben den Schwiegersohn des Propheten Ali ermordet«, entgegnete der Emir knapp und mit einer gewissen Verachtung in der Stimme. Alexios blickte so überfordert drein, dass sich Dschuneid zu einer Erklärung herabließ. »Es ist zwischen uns Schiiten und den Sunniten ein wenig so wie zwischen euch Christen und den Juden. So, wie die Sunniten Ali getötet haben, ließen die Juden Jesus ans Kreuz schlagen.«
Alexios bereute es, dass er die Frage gestellt hatte, denn er spürte eine wachsende Abneigung dagegen, Genaueres über die Glaubensunterschiede der Muslime zu erfahren. Über
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