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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Auskunft zu geben.

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    Notaras-Palast, Konstantinopel
    Der Frühling kam im Jahr 1422 zeitig nach Konstantinopel. Die Blumen, Sträucher und Bäume zündeten sich in einer Eile mit Knospen an, als müssten sie sich in diesem Jahr besonders beeilen, weil es bald schon dafür zu spät sein konnte. Bis auf die letzten vierzehn Tage hatte Loukas eigentlich die Zeit der Schwangerschaft seiner Frau genossen, die Erwartung des ersten Kindes, das sie zu einer Familie machen würde. Aber seit zwei Wochen litt Eirene unter der Schwangerschaft, klagte sie über Übelkeit und erbrach sich häufig. Die Ängste, die ihn beschlichen, wenn sie unpässlich war, verheimlichte er vor ihr, weil er sie nicht beunruhigen wollte. Zumeist strahlte sie Optimismus aus, doch zuweilen fiel sie auch in eine tiefe Nachdenklichkeit. Dann dachte sie an ihre Mutter, die bei ihrer Geburt gestorben war. Furcht und die Sorge um ihr Kind, das sie vielleicht nicht aufwachsen sehen würde, trieben sie in eine Traurigkeit, aus der sie sich allein nicht mehr zu befreien vermochte. In diesen dunklen Stunden nahm sie Loukas immer wieder den Schwur ab, sich so um ihr Kind zu kümmern, als lebe sie noch, ihm Mutter und Vater zugleich zu sein. Eirene hatte davon gehört, dass es Ehemänner gab, die dem Kind den Tod der Mutter niemals verziehen, als wäre dieses Unglück ihre Schuld. Bereitwillig leistete Loukas den Eid, suchte sie zu beruhigen und benutzte das einzige Mittel, das in diesen Stimmungslagen half, das Erzählen von Geschichten. Es schmälerte die Wirkung nicht, wenn sie die Berichte von fernen Ländern schon einmal gehört hatte. Tapfer erzählte er sie wieder und immer wieder. Kein größeres Glück existierte für ihn, als dass sich im Lauf seiner Erzählung ihre Miene aufhellte, die Gewitterwolken von ihrer Stirn wichen und ihr Lächeln auf die vollen Lippen zurückkehrte.
    »Langweilt es dich nicht, immer wieder die gleichen Anekdoten zu hören?«, fragte er sie manchmal.
    »Wie könnte es mich langweilen, dir zuzuhören«, entgegnete sie dann und schmiegte sich an ihn. In dieser Haltung hätte er stundenlang verharren können. Er hatte den Zofen und Dienern strenge Anweisung erteilt, ihn sofort zu informieren, wenn sich die Stimmung seiner Frau eintrübte.
    Der Kapitän hatte einen völlig neuen Tagesablauf gefunden, der sich an ihren Bedürfnissen orientierte. Im Morgengrauen stahl er sich aus dem Bett, um sie nicht zu wecken. Hatte er bereits fünf Stunden gearbeitet, kam er gegen neun Uhr zum Frühstück. Eine gute Stunde blieb er bei seiner Frau und sprach mit ihr. Dann verfügte er sich wieder ins Kontor, ging zum Hafen, um mit den Kapitänen der eingelaufenen Schiffe zu reden, oder kontrollierte die Bestände in den Lagerhallen. Am frühen Abend beendete er die Arbeit. Dann traf sich die ganze Familie, und sie aßen und plauderten mit Nikephoros und Thekla. Anschließend unternahmen Eirene und er entweder noch einen kleinen Spaziergang, oder sie zogen sich ins Schlafzimmer zurück, setzten sich in die beiden Lehnstühle, bevor sie zu Bett gingen, erzählten oder lasen einander etwas vor. Am Sonntag und am Mittwoch besuchten sie gemeinsam die Hagia Sophia zum Gottesdienst. Einmal begegneten sie Dionysios.
    Der Mönch grüßte sie höflich. »Es ist Gottes Wille.«
    »Vielleicht war es auch Gottes Wille, dass wir eingreifen«, erwiderte Eirene.
    »Das werden wir nie erfahren. Aber wisst, ich habe die Malutensilien von Demetrios aufbewahrt«, sagte Dionysios, segnete Eirene und verlor sich im Gewühl der Menschen in der großen Kirche.
    Ende März führte ein Dauerregen zu Temperaturschwankungen. Trotz des Nebels besuchte Francesco Draperio zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Frau die Familie Notaras. Nachdem die Männer über Geschäfte gesprochen und die Frauen sich von Aureliana Draperio über die Florentiner und die Venezianer Mode hatten informieren lassen, versammelten sie sich am Nachmittag zu einem Festmahl. Der alte Seeräuber saß am Kopf der langen, mit roten Damasttüchern bedeckten Eichenholztafel und schaute vergnügt in die Gesichter seiner Gäste und Angehörigen, die sich in dem großen Esszimmer versammelt hatten. Offiziell war er immer noch der Chef der Familie, auch wenn Loukas längst alle Fäden zog.
    »Lieber Francesco, Gott ist unseren beiden Häusern gewogen. Ihr habt mit Euren Schifffahrtsversicherungen gutes Geld verdient. Wir haben die Zeit damit verbracht, ein erfolgreiches Handelsunternehmen

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