Byzanz
Forsthaus ausharren sollte. Der König sei unerwartet eingetroffen, würde aber wohl nicht lange bleiben. Eifersucht loderte in Alexios auf. Dabei war nicht der König, sondern er der Ehebrecher und Sigismund der rechtmäßige Gemahl Barbaras.
In den Tagen, in denen er auf die Königin wartete, begann er sich nach Konstantinopel zurückzusehnen, nach der Aufgabe, für die er sich bestimmt wähnte, auch wenn das die Trennung von der Geliebten bedeuten würde. In der Einsamkeit des Wartens verglich er Barbara mit der Nymphe Kirke, mit der »prächtig gelockten«, mit der »furchtbaren, sprechenden Göttin«, die ihn verzauberte, um ihn von seiner Mission abzuhalten, denn auch er »bestieg das gar schöne Lager der Kirke«. Alexios kannte nicht viele Geschichten, doch die des Odysseus war ihm geläufig. Er erinnerte sich, dass Kirke eines Tages den König von Ithaka nicht nur gehen ließ, sondern ihm auch »günstigen segelschwellenden Fahrtwind als guten Gefährten« schickte. Als Rhomäer aber fühlte er sich nicht den Griechen verwandt, sondern den Trojanern.
Die Geschichte hatte es in sich. Belagert von den Griechen fiel Troja, aber der Fürst der Trojaner, Aeneas, entkam und gründete Rom. Und gut eintausend Jahre später erbaute der Nachfahre des Aeneas, der Römer Konstantin, dort, wo einst Troja lag – so glaubte es zumindest Alexios – das Neue Rom, Konstantinopel. Was für eine mächtige Parabel! Zwischen Flucht und Rückkehr lagen tausend Jahre, und dennoch erstand Troja zu neuem Glanz für ein weiteres Jahrtausend, denn auch seit dem Tag, an dem Kaiser Konstantin Rom an den Bosporus verlegt hatte, war ein Millennium ins Land gegangen. War es da nicht an der Zeit, das Tor für eine neue Ära aufzustoßen? Alles Alte und Verbrauchte hinter sich zu lassen? Es konnte doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet ein Angelos zum Boten der Auferstehung des Imperium Romanum bestellt wurde, ein wehrhafter Engel wie der Drachentöter. Nämlich er, Alexios Angelos, Nachfahre des Aeneas, Urahn des Kaisers Konstantin, Abkomme Justinians, des großen Kaisers. Der Fürst glaubte zu fiebern. Er rannte zum Weiher, schwamm und tauchte, bis er blaue Lippen hatte. Erst dann kehrte er zum Forsthaus zurück. Er wunderte sich darüber, dass sich sein Geist in mythische Spekulationen verirrt hatte, schob es aber auf die Langweile, auf das unerträglich untätige Warten, zu dem er verdammt war. Und wusste doch, dass er nicht nur phantasiert hatte, denn er war sich seiner Sache sicherer als jemals zuvor.
So überraschend, wie sie ausgeblieben war, kehrte die Königin eines Abends zurück. »Gott sei Dank, der König ist wieder fort!«
»Wohin?«, fragte Alexios trocken.
»In sein geliebtes Böhmen. Ketzer massakrieren, Menschen …« Sie hielt inne und warf ihm einen seltsamen Blick zu, bevor ein Lächeln über ihre sinnlichen Lippen flog. »Ist mein kleiner Alexios etwa eifersüchtig?« Sie kraulte seinen Kopf, wie man es mit Hunden macht. Das ärgerte ihn.
»Ich gehe nach Konstantinopel zurück«, erklärte er. Barbara zog ihre Hand weg, als habe sie sich verbrannt, und rutschte auf dem Bett zurück, um Abstand zu gewinnen. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt und die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, saß sie da und funkelte ihn wild an. Ihre Beine!, dachte er nur und hatte das Gefühl, in einen Sog gerissen zu werden. Sie erriet seine Gedanken, lächelte schief, dann rief sie ihm zu: »Komm, trink mich aus, mein Kleiner«, und spreizte die Beine. Und er trank aus dem Brunnen des Lebens, bis es kein Zurück mehr gab.
Zuweilen spazierten sie wie Untote durch die Nacht bis zu dem Weiher und badeten dort. Ihr Körper wirkte im Mondschein wie Silber, seiner wie Bronze. Dann sagte sie: »Wie gern würde ich mit dir in der Sonne liegen.« Er fuhr mit seiner Hand über ihre Gänsehaut. Nachts wurde es empfindlich kühl im Wald.
»Jagst du eigentlich gern, Alexios?«
Er feixte frech wie ein Filou. »Ich gehe auf alle Arten von Wild.«
»Einmal mit dir eine Treibjagd veranstalten!« Aber sie wusste, dass das nicht sein durfte, weil ihnen nur die Nacht blieb, die sie zu lieben und zu hassen begannen. Oft waren sie so erschöpft, dass Clara sie wecken musste, damit die Königin pünktlich im Schloss eintraf. Manchmal sah sie Alexios dabei nackt oder beide ineinander verschlungen. Es machte ihm nichts aus. Die Zofe war längst zur Dienerin ihrer Liebe geworden. Was sie nicht gesehen hatte, das hatte sie gehört. Es kam aber
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