Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
Anatolien
    Meile für Meile schoben sich unbarmherzig dichte Wälder und hohe Gebirge zwischen Loukas Notaras und seine Familie, je weiter er auf der Landstraße von Chalkedon nach Bursa vorankam. Er verfluchte jede einzelne Meile. Und natürlich sich selbst, denn er hatte sich den Auftrag aus Pflichtgefühl der Heimat gegenüber, das auch, vor allem aber aus Verantwortung für seine Familie selbst eingebrockt. Niemand außer ihm hätte diese ungeliebte Mission übernehmen können. Allmählich verstand er, um wie viel schwerer im Vergleich mit den wohlfeilen Phrasen vom Vaterland die Familie wog. Aber noch etwas anderes hatte er erfahren müssen. Diejenigen, die am lautesten vom Vaterland sprachen, folgten bei Lichte besehen nur einer Geschäftsidee. »Dulce et decorum est pro patria mori« , hatte Horaz auf Latein gedichtet, was in seiner Muttersprache so viel bedeutete wie: »Süß und edel ist es, für das Vaterland zu sterben.« Horaz war Römer gewesen, Rhomäer. Loukas Notaras aber war es nicht, er war Grieche. Es fiel ihm nicht ein, für das Vaterland sterben zu wollen. Und überhaupt, welche Aufgabe hatte die Heimat denn, wenn nicht für ihre Bewohner zu sorgen und sie zu schützen? Das Leben jedes Einzelnen sollte sie absichern, nicht aber fordern. Verlangte es Opfer, dann war doch irgendetwas faul mit dem Vaterland, dann tat Änderung not. Loukas schwor sich, dass er für sichere Verhältnisse kämpfen würde, sobald die Krise mit Gottes Hilfe überwunden wäre. Niemals wieder sollte die Politik verantwortungsloser Dummköpfe dazu führen, dass feindliche Truppen vor den Mauern Konstantinopels aufmarschierten, um die Stadt zu stürmen. Gegen den Zorn, der ihm den Atem nahm und die Klarheit des Denkens trübte, rief er sich immer wieder die Bilder seiner Tochter vor Augen, und dann lächelte er, denn er ahnte, dass sie ihn auf besondere Art lieben und eines Tages wohl auch bekämpfen musste, weil sie einander so ähnlich waren. Vater und Tochter würden sich genau dort wehtun, wo sie übereinstimmten.
    Nicht für den törichten Kaiser oder für die siechende Stadt schluckte er den Staub der Landstraße, sondern einzig und allein, um das Leben und die Zukunft seiner Tochter zu sichern. Und als er das begriff, verstand er auch, weshalb es besser war, keine Kinder zu haben. Kinder banden einen an die Welt, zwangen einen zu Taten, die man sonst nicht in Erwägung gezogen hätte, machten einen erpressbar und insofern auch korrupt. Durch die Kinder hatten die Mächtigen die Untertanen am Kanthaken. Aber nur aus einem Grund, weil der Mensch mit nichts stärker zu verführen war als mit der Hoffnung. Wie gefährlich war ein Mann, der keine Rücksicht auf die Familie zu nehmen brauchte? An Gefährlichkeit übertraf ihn nur derjenige, der zum Schutze seiner Familie handelte oder aus Rache, wenn er bereits alles verloren hatte.
    Versunken in diese Gedanken erreichte Loukas schließlich Bursa. Er ging sofort zu Jakub Alhambra, um bei ihm Quartier zu nehmen. Den Boten schickte er zu Ilyah Pascha mit der Antwort zurück, dass er sich in der Stadt befände, um mit ihm über Geschäftliches zu reden. Mit Absicht sprach er vom Reden, nicht vom Verhandeln, und wählte die Verkleidung des Kaufmanns, auch wenn sie ihm niemand abnahm.
    Auf eine Begegnung aber freute sich Loukas besonders. Nachdem sie sich begrüßt und gegenseitig ins Bild gesetzt hatten, führte Jakub ihn ins Kontor. Hinter einem von zwanzig Stehpulten verrichtete dort Demetrios, in eine weiße Tunika gehüllt, seinen Dienst. Eine Kleinigkeit verunsicherte, ja befremdete Loukas. Er brauchte eine Weile, um zu erkennen, was die Ordnung störte. Endlich nahm er das kleine Detail wahr, und es stimmte ihn traurig. Demetrios schrieb mit links.
    Eigentlich hätte Loukas sich darüber freuen sollen, dass sein Bruder einen Ausgleich gefunden hatte, doch genau das tat ihm im Herzen weh, weil es ihn an die Ursache dafür erinnerte. Im täglichen Umgang mit Nikephoros hatte er diesen »Unfall«, wie er den Ausbruch der Gewalt inzwischen nannte, vergessen, und das übliche herzliche Verhältnis hatte sich zwischen ihnen wieder eingestellt, so als ob nichts vorgefallen sei. Und nun riss die Geschicklichkeit seines Bruders, die vom Vater verursachte Behinderung auszugleichen, den Schorf von der Wunde in seiner Seele. So beschädigt das Leben auch war, es ging weiter und arrangierte sich mit den Defekten und Verletzungen. Demetrios, der gespürt zu haben schien, dass zwei

Weitere Kostenlose Bücher