Byzanz
Augen auf ihm ruhten, blickte kühl auf. Er erwartete nichts, wahrscheinlich nur den Boten, der auf die Ausfertigung des Schriftstückes lauerte, so wie es sich Tag für Tag wiederholte.
Sein Blick blieb in der Luft stehen. Dann erstarrten seine Gesichtszüge. Durfte er denn glauben, was er sah? Er kniff sich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand derb in den rechten Oberarm und schrie beherzt auf. »Aua! Grundgütiger!« Die ungestüme Freude eines kleinen Jungen enterte die ernsten Gesichtszüge des jungen Mannes. »Loukas, Loukas, bist du das? Du bist es!«, rief er und stolperte auf den Bruder zu. Dabei hätte er beinahe sein Pult umgerissen, wenn er nicht in letzter Sekunde nach links ausgewichen wäre. Die Freude des Bruders löschte die trüben Gedanken in Loukas’ Kopf wie ein feuchter Schwamm die Schrift von der Tafel. Die Brüder umarmten einander, stumm, heftig und hielten sich so fest im Arm, als hinge die Welt davon ab. Die Kanzleiangestellten ließen ihre Federn sinken und beobachteten überrascht und mit großem Interesse die ungewohnte Szene, die sich vor ihren Augen abspielte.
»Ich gebe dir heute frei, Demetrios, aber du wirst die Zeit nacharbeiten müssen. Einverstanden?«, sagte Jakub streng, doch mit einem gütigen Lächeln in den Augen.
Und während Loukas auf die Einladung in den Palast des Prinzen Mustafa wartete, saß er mit Demetrios im Garten und berichtete dem Bruder von der Geburt Annas, darüber, dass er jetzt eine Nichte hätte und selbst Onkel geworden wäre. Zum Schluss sprach er von der Belagerung ihrer Heimatstadt, bevor er den Bruder bat, ihm zu erzählen, wie es ihm in der Fremde erging. Loukas genoss es, Demetrios zu lauschen, an dem ihm eine besondere Ruhe auffiel – er wirkte erwachsener, bedächtiger. Die Heiterkeit der Umgebung hatte auch sein Gemüt verzaubert. Plötzlich strahlte er über das ganze Gesicht. »Warum verlasst ihr nicht Konstantinopel und kommt hierher? Es lebt sich gut in Bursa!«, rief er, einer jähen Eingebung nachgebend. Doch dann zuckten seine Augenlider, denn ihm wurde bewusst, dass nicht nur Loukas und Eirene, Anna und Thekla in seiner Nähe leben würden, sondern auch sein Vater. Für diese Begegnung fühlte er sich noch nicht stark genug. Schließlich gab er sich einen Ruck und wiederholte seinen Vorschlag.
»Na, noch ist es nicht notwendig. Die guten alten Mauern der Stadt trotzen der Belagerung«, erwiderte Loukas. »Aber wenn es so kommen sollte, was der Himmel verhüten möge, dann nehmen wir Sack und Pack und ziehen alle in dein Zimmer ein!«
Demetrios kicherte etwas unglücklich über die ungemütliche Vorstellung.
»Und nun sprich weiter. Oder willst du deinem älteren Bruder etwas verheimlichen?«
Demetrios schüttelte den Kopf und setzte seine Erzählung fort. Sein Leben schien eine freundliche Weise angenommen zu haben, ein Gleichmaß, das auf einem inneren Frieden beruhte. Konnte das wahr sein?, fragte sich Loukas. War es Demetrios tatsächlich gelungen, seine Leidenschaft für die Malerei zu veröden, wie Ärzte eine Wunde austrockneten? Ein prüfender Blick in die klaren Augen des Jünglings bestätigte seine Vermutung, und auch die Arglosigkeit seiner Worte überzeugte ihn davon. Aus Furcht, die Narbe aufzureißen, verzichtete er darauf, nachzufragen. Man musste die Welt nicht komplizierter machen, als sie ohnehin schon war, und die Vorstellung, dass sein Bruder mit sich im Reinen war, gefiel Loukas. Es war eine sehr gute Nachricht, auch für seinen Vater. Es bestand die Hoffnung, dass sich ihr Verhältnis eines Tages richten würde.
Und während er Demetrios zuhörte, fiel ihm der seltsame Umstand auf, dass der Bruder im selben Alter war wie der Sultan Murad II., der mit seinem Heer vor den Mauern seiner Vaterstadt stand.
Bevor Loukas zu Bett ging, besuchte ihn Jakub Alhambra im Gästezimmer. Er beschrieb ihm in allen Einzelheiten, wie Demetrios nicht verbissen – dafür besaß er ein zu freundliches Gemüt –, aber konsequent und geduldig so lange geübt hatte, bis er mit der linken Hand eine gestochen scharfe Kanzleischrift auszuführen vermochte. Das Licht in der Lampe erlosch, doch die beiden Männer hatten kein Bedürfnis, Öl nachzufüllen oder ein anderes Lämpchen zu holen. Sie genossen diese Dunkelheit, in der man vom anderen allenfalls die Umrisse wahrnahm. Befreit von den ständigen Begleitern Mimik und Gestik bekamen die Worte ein anderes Gewicht, wirkten sie nur durch Klang und Inhalt. Fast schien es,
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