Byzanz
einmal in umgekehrter Richtung geritten. Es ging nach Buda. Etwa zu dem gehörnten Ehemann? Die Vorstellung bereitete ihm Unbehagen.
Als die Nacht hereinbrach, erreichten sie eine kleine Stadt. Sie wurden in den örtlichen Kerker gesperrt.
»Bitte küsst mich, Herr«, bat sie ihn, nachdem die Büttel sie vor einer Weile verlassen hatten und Stille einkehrte.
»Liebst du mich denn?«, fragte er verunsichert.
»Ich weiß es nicht. Aber mein Körper verlangt nach Euch!«
»Warum?«
»Weil ich sterben muss!« Die Antwort erschütterte Alexios, und er nahm Clara in seine Arme, aber nicht wie ein Liebhaber, sondern wie ein Bruder seine Schwester, wenn er sie zu trösten wünschte. Zwei Monate in jedem Jahr lebten sie im Forsthaus miteinander. In dieser Zeit wurde sie zumindest zur akustischen Zeugin der Liebe zwischen ihrer Herrin und dem Fürsten, doch niemals kamen sie sich körperlich nahe, bis auf dieses eine Mal in den Karpaten. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Er hatte sie nie gefragt, wie sie die Zeiten im Forsthaus empfunden hatte – und er tat es auch jetzt nicht. Alexios spürte ihre Angst.
»Hast du eigentlich jemanden geliebt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Deine Eltern?«
»Ich habe sie kaum gekannt. Die Pest. Graf Herrmann, der selige Vater der Königin, hat mich aufgenommen und erziehen lassen. Ich verdanke ihm alles.«
Nun verstand Alexios die enge Verbundenheit, die zwischen Barbara und ihrer Zofe bestand.
»Keinen Mann?« Sie schüttelte den Kopf. Die Erkenntnis schlug bei ihm ein wie ein Blitz. Er war Claras erster Mann, er hatte ihr die Jungfernschaft genommen und es nicht einmal bemerkt.
»Lieb mich noch einmal, Alexios«, hauchte sie in sein Ohr. »Bevor alles zu Ende geht.«
»Dir wird nichts geschehen«, suchte er vergebens, sie zu beruhigen. Sie sah ihn mit großen, bittenden Augen an.
»Komm, schmieg dich an mich. Ich erzähle dir eine Geschichte.« Er scheute sich, mit ihr zu schlafen, nicht weil sie ihm nicht gefiel, sondern weil er zum ersten Mal in seinem Leben fühlte, dass es nicht rechtens wäre. Alexios spürte die Angst in dem Körper der jungen Frau, gegen die er mit der Geschichte von den Irrfahrten des Odysseus anzureden versuchte.
Am Mittag des nächsten Tages holte sie eine Gruppe von sechs Reitern ein.
»Wer bist du?«, fragte der in einem schwarzen Mantel steckende und von einer Gelehrtenkappe behütete Führer des kleinen Trupps.
»Und du?«, bellte der Vierschrötige zurück. Seine Stimme klang rau. Die schlechte Laune rührte von einem quälenden Kater her.
»Anselm von Görlitz, Hofmeister der Königin. Die hohe Frau will wissen, wer es wagt, ihre Zofe zu entführen!«
»Unser gnädiger Herr König Sigismund.«
Alexios freute sich ganz und gar nicht, dass sich seine vage Vermutung bestätigte. Diese Erklärung stellte die schlimmste aller Möglichkeiten dar.
»Du willst mit den Gefangenen nach Buda?«, hakte der Hofmeister nach.
»Was geht’s dir an!«, sagte der Vierschrötige und spuckte aus.
Der Gelehrte schluckte, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Seinem angewiderten Mienenspiel konnte man ansehen, wie sehr er diesen Pöbel hasste. »Königin Barbara befiehlt dir, ihre Zofe Clara von Eger freizulassen!«
»Mein König befahl mich, Fürst Anschellohs und Clara von Eger auf Arrest zu nehmen.« Verrat, sie waren also verraten worden, schoss es Alexios durch den Kopf. Sigismund kannte offenbar die ganze Wahrheit, denn er wusste nicht nur von dem Forsthaus, sondern auch von der Rolle, die Clara spielte. Auf einmal fühlte er sich überhaupt nicht mehr so sicher, sie beschützen zu können. Aber er ließ den Zweifel nicht an sich heran.
»Aus dem Weg, oder du kommst mich mit zum König! Kannst dem Hurengespann gern Gesellschaft leisten, Magister Flohschiss!«, brüllte der Vierschrötige.
Die Drohung wirkte. Der Gelehrte wendete sein Pferd und ritt, ohne ein Wort zu sagen, gefolgt von seiner kleinen Eskorte, zurück. Alles war so schnell gegangen, dass weder Clara noch der Fürst dem Haushofmeister eine Botschaft für die Königin hatten mitgeben können. Der Vierschrötige schickte dem Hofmeister ein höhnisches Gelächter hinterher. »Dieses Männschen tut sich dicke mit seinem Lesen und Schreiben. Hilft’s ihm? Nö! Dem haben wir’s gezeigt, Männer.«
Alexios nahm den Vierschrötigen in den Blick, die stumpfen Augen, die Narben auf Stirn und Wange, die aufgepolsterten Gesichtslappen, die Knollennase, den weibischen Mund, kurz
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