Byzanz
Verehrtester. Gestern spätabends traf die Meldung meiner Spione ein. Eine einmalige wirtschaftliche Gelegenheit bietet sich uns!«
»Und die duldet so gar keinen Aufschub?«
Die leutseligen Gesichtszüge des Genuesen verhärteten sich. »Nein, nicht den geringsten, wenn wir überhaupt noch eine Chance haben. Verflixt und zugenäht, wir sind sehr spät dran! Die Venezianer haben bereits ihre Hände danach ausgestreckt, auch die Florentiner, Leute aus Genua, aus Ancona, aus Pisa, selbst aus Siena und weiß der Himmel woher noch. Ein Prozent an den Geschenken, die jetzt schon die Verantwortlichen in ihrer Entscheidung beeinflussen sollen, würden einen armen Mann reich machen. Hochverehrter Loukas Notaras, dieses Geschäft könnte das Geschäft unseres Lebens werden!«
Francesco Draperio war kein Träumer, niemand, der sich von Trugbildern oder Phantasien nährte. Hinter dem Charme und der blumigen Ausdrucksweise verbarg sich ein nüchtern kalkulierender und knallhart denkender Geist. Er benutzte seine Beredsamkeit wie ein Ringer die zu weite Kleidung, um vor Freund wie Feind seine Muskeln zu verbergen.
Wenn das Geschäft, das ihm vorschwebte, ihn derart aus dem Häuschen trieb, dachte der Kapitän, dann handelte es sich tatsächlich um ein sehr großes Unternehmen, so groß, dass er es nicht allein angehen konnte. Andernfalls hätte Loukas nie etwas davon erfahren, auch wenn sie sich Geschäftsfreunde nannten und auf einigen Gebieten sogar als Partner zusammenarbeiteten. Draperio war weder ein Wohltäter noch ein großzügiger Mensch. Das Teilen galt ihm als achte Todsünde, genau genommen als die zweite, denn der Katholik hatte die avaritia , den Geiz und die Habgier, zur Kardinaltugend erhoben. Loukas Notaras besaß gute Gründe zu vermuten, dass Francesco Draperio nur dann an Gott glaubte, wenn Gott zu seinem Vorteil wirkte, denn der eigene Nutzen stellte die wahre Religion des Genuesen dar.
»Worum geht es?«, fragte Loukas zurückhaltend und unterdrückte seine Neugier. Zu großes Interesse erhöhte nur den Preis.
»Die Alaungruben von Phokaia!«
Das verschlug selbst dem Kapitän die Sprache. Er starrte seinen Geschäftspartner mit offenem Mund an, als wolle der ihm die Hagia Sophia verkaufen.
»Der Sultan will sie neu verpachten«, erklärte Draperio.
Alaun, das auch schwefelsaure Tonerde genannt wurde, war ein kristallisiertes Doppelsalz. Und ein wahrer Wunderstoff. Es wurde in der Medizin und als Holzschutzmittel eingesetzt. Aber das stellte nur Nebengeschäfte dar. Der eigentliche Wert dieses Wunderstoffes bestand darin, dass man in der Textilindustrie beim Beizen und Gerben nicht mehr auf Alaun verzichten konnte. Wer über Alaungruben verfügte, wurde zum umschwärmten Partner der reichen Textilkaufleute von Florenz, Flandern und Brabant. Doch nichts übertraf Alaun aus Phokaia. Derjenige, der in der kleinasiatischen Lagerstätte genügend Gruben besaß, bestimmte die Preise. Loukas ahnte, welche Aufgabe ihm der Genuese bei dieser Akquise zumaß. Doch er beschloss, Draperio weiter anzuhören. Sollte der sich erst mal erklären – der Genuese, nicht er hatte es eilig. »Wenn einer helfen kann, seid Ihr es! Ihr habt die besten Beziehungen zu Murad. Redet mit ihm, sichert uns das Geschäft.«
Der Kapitän zog die Stirn kraus. »Versteht mich nicht falsch. Unsere Geschäfte laufen gut, wir konnten in den letzten zehn Jahren unsere Stellung in der Handelswelt immer weiter ausbauen. Doch Hand aufs Herz, verehrter Francesco, ist dieses Geschäft nicht zu groß für uns? Die ersten Bankhäuser, die Badoer, die Medici, die Doria werden sich darum reißen.«
»Und sich in ihrer Konkurrenz gegenseitig auffressen! Uns haben sie nicht auf der Rechnung. Vertraut mir, Gott will es, dass wir es machen!«
»Stimmt, ich bin gerade gestern mit ihm die Kontorbücher durchgegangen.« Loukas lächelte sibyllinisch.
»Heißt es nicht, Gott ist mit den Tüchtigen? Kennt Ihr nicht das Gleichnis von den Talenten? Der Herr hat seinen Dienern Geld anvertraut. Diejenigen, die es vermehrt haben, liebt er, und die, die es nur erhalten haben, jagt er von dannen: ›Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er nicht hat!‹« Francesco Draperio strahlte über das ganze Gesicht. »Ich bin ein Kind rechtschaffener und deshalb armer Eltern. Aber als ich dieses Gleichnis in sehr jungen Jahren in der Kirche hörte, habe ich plötzlich die Welt
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