Byzanz
verstanden. Wenn wir nicht zugreifen, wird uns genommen werden. Diese Chance wird sich uns nie wieder bieten! Jetzt zu zaudern hieße, den Aufstieg zu verpassen. Wir werden arm sein wie Bettler oder reich wie Könige.«
»Reicher als Könige, hoffe ich doch«, entgegnete Loukas in Gedanken an seinen ewig klammen Kaiser. Mit einem unvergleichlich größeren Vermögen, als er es jetzt besaß, würde er auch seinen politischen Einfluss steigern können. Seine Gegner, die sich mit den Lateinern verbünden wollten, um einen Krieg mit den Türken anzuzetteln, verfügten über größere Mittel als er. Immer stärker setzte sich in Loukas die Überzeugung fest, dass man mit den Osmanen Frieden halten und kooperieren musste. So gesehen eröffnete das Geschäft zwei Vorteile: Erstens würden ganz andere Summen in seine Kassen fließen und es ihm ermöglichen, den Handel mit den Lateinern auszubauen, und zweitens würden die Bande zum Hof des Sultans stärker werden. Aussteigen konnte man immer noch. Warum nicht erst einmal prüfen, was alles möglich war?
»Wie lautet Euer Angebot?«, fragte er den Genuesen nach einer kurzen Denkpause. In Draperios Lächeln stand ein kleiner Triumph darüber, dass er Loukas nicht falsch eingeschätzt hatte. Auf seine Menschenkenntnis hielt er sich etwas zugute.
»Ihr holt den Zuschlag und bekommt eine jährliche Provision von zehn Prozent der Pachtsumme«, verkündete er.
Loukas lächelte freundlich, schwieg aber eisern. Francesco Draperio lächelte nicht minder freundlich zurück. »Na gut, es war einen Versuch wert. Ihr zahlt zehn Prozent der Pachtsumme und seid mit zwanzig Prozent am Umsatz beteiligt. Ist das ein Wort?« Draperio streckte die Hand aus und strahlte dabei, als habe er Loukas gerade aus reiner Freundschaft und vollkommen uneigennützig die Reichtümer der Welt zu Füßen gelegt und sich dabei ruiniert.
»Das Vorletzte in der Angelegenheit, verehrter Francesco. Das Letzte lautet: Ich zahle zwanzig Prozent der Pachtsumme und bin mit vierzig Prozent als stiller Teilhaber am Umsatz beteiligt. Ich fordere absolute Diskretion. Niemand muss wissen, dass ich in diesem Geschäft stecke. Das würde nur die Begehrlichkeiten des Kaisers wecken und natürlich den tödlichen Neid der Hofschranzen. Sie bekämen es mit der Angst zu tun, dass ich zu mächtig werde, und würden auf Teufel komm raus gegen mich intrigieren. Das kann ich nicht gebrauchen. Es könnte meine Geschäfte empfindlich stören. Auch für Euch wäre es letztlich nicht von Vorteil!«
»Die Angst ist nicht unbegründet. Der Neid treibt die Welt.« Francesco Draperio wiegte den Kopf. Er wusste nur zu gut, dass seine einzige Chance, an die Pacht zu kommen, über Loukas Notaras lief. Er zog deshalb die Hand nicht zurück und sagte stattdessen: »Euer Geschäftssinn steht im Bunde mit meiner Gutmütigkeit. So sei es denn!« Sie besiegelten die Abmachung mit einem Handschlag.
»Ein Junge oder ein Mädchen?«, erkundigte sich der Genuese mit entspanntem Lächeln, und Notaras beschlich in diesem Augenblick der Verdacht, am Ende doch zu wenig verlangt zu haben. Er hätte das dritte oder vierte Angebot Draperios abwarten sollen, bevor er seine Forderung darübersetzte, aber seine Gedanken befanden sich bei dem jüngsten Mitglied seiner Familie und nicht bei den Alaungruben in Phokaia.
»Ein Junge, lieber Freund. Nikolaos wird er heißen«, antwortete er mit einer großen Freude an der Welt.
4
Palast des Sultans, Edirne, Anatolien
»Großherr, wacht auf!«
»Großherr, wacht auf«, tröpfelte die säuselnde Stimme beharrlich in seinen schwarzen, traumlosen Schlaf wie Sonnenlicht in eine dunkle Kammer. Der Sultan schlug widerwillig die Augen auf und dachte nur, wenn es nicht wichtig ist, lasse ich dich köpfen, Sohn einer Hündin! Er benötigte ein paar Sekunden, um sich zurechtzufinden. Vor ihm stand der hamdun , der Obereunuch, dem die Aufsicht über den Harem, das Haus der Freude oblag. Im Zimmer hing Dämmer wie ein Spinnweb, das allmählich von den Spitzen des ersten Lichts zerrissen wurde. Es war noch früh, zu früh für ihn.
»Was gibt’s?«
»Großherr, Euch wurde gerade ein Sohn geboren«, säuselte der Eunuch feierlich.
Wie zum Hohn erhob sich in diesem Augenblick der volle Klang der Kirchenglocken. Das Geläut stand natürlich in keinem Zusammenhang mit der Geburt, denn für die Ungläubigen brach der Sonntag Laetare an. Dennoch berührte dieser Zufall den Sultan unangenehm. Er wartete förmlich darauf, dass
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