Byzanz
nicht, dass dich mein Gift erreicht. Der schönste Verrat, der an einem begangen wird, ist der, den man selbst ins Werk setzt.« Alexios wollte sich erheben, doch da erhob sich die schöne Stimme des Priesters und erfüllte den Kirchenraum wie Kerzenlicht: » Lux aeterna luceat eis, Domine … Das ewige Licht leuchte ihnen, Herr, mit deinen Heiligen in Ewigkeit, denn du bist gütig. Die ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen. Mit deinen Heiligen in Ewigkeit, denn du bist gütig.«
Die Königin kniete nieder, als würde sie durch die Musik geläutert, und betete andächtig mit dem Ausdruck vollkommener Unschuld auf ihrer Stirn, ihrer Nase, ihren sündigen Lippen.
»Fahr zur Hölle!«, raunte er ihr zu, dann stand er auf und ging zum Sarg, legte sich mit ausgestreckten Armen davor auf den Boden der Kapelle und betete für sie auf Griechisch: »Mit den Heiligen lass ruhen, Christus, die Seele deiner Dienerin, wo es nicht gibt Schmerz noch Trübsal noch Klage, doch unendliches Leben. Sie hat genug gelitten! Amen.«
Die Kälte der Fußbodensteine drang in seinen Körper und tat ihm gut.
Als er wenig später eine Handvoll Erde ins Grab der Zofe warf und noch einmal auf ihren Sarg hinabblickte, fühlte er einen kurzen Augenblick den Hermaphroditen neben sich, der ihm zuraunte: »Die Zeit des Spielens ist vorbei!«
Es regnete immer noch nicht. Alexios Angelos stand dennoch im Grau der Wolken. Oder war es nur der Nebel, der Schleier aus toten Seelen? Er fühlte sich leer. Das Leben verfloss, die Reiche, nicht aber die Ideen. Wenn die Ideen vergessen würden, dann bräche der letzte Tag der Menschheit an. Bisher hatte er Ideen mit Worten gleichgesetzt, lediglich nach ihrer Bedeutung gefragt, nicht aber nach ihrem Inhalt. Aber die Ideen, so viel begann er an Claras Grab, jäh mit der Endgültigkeit konfrontiert, zu ahnen, überragten die Worte, weil sie nicht einfach Chiffren für etwas anderes waren, nicht als Träger von Bedeutungen dienten, sondern selbst Inhalte ausdrückten, ein Wesen besaßen. Oder gar Wesen waren? Geistige Gebilde, die Physisches in Gang setzten. An der Idee würde sich das Reich aufrichten, sie würde das Schwert führen, sie allein, das spürte er. Er kannte Ideen, weil er von ihnen getrieben wurde. Liebe war eine Idee, die begrub er gerade, das Reich der Rhomäer eine andere. Aber was war eigentlich das Reich der Rhomäer? Verblasster Glanz? Vergangenheit ohne Zukunft? Ging es nur darum, als Kaiser über ein unermesslich großes Reich zu herrschen? Jahrelang stritt er für diese Idee, nun musste er erkennen, dass sie hohl war, dass ihr eine Form, aber kein Inhalt zukam. Er hatte die Idee zum Wort erniedrigt, sich am Wortgeklingel berauscht. Früher hätte er diese Einsicht als abgehoben oder als wirklichkeitsfern abgetan, aber vor diesem blutigen Menschentod, dieser gemeinen Endgültigkeit – und er wusste, worum es ging, denn er hatte Claras geschundenen Leib gewaschen – glückte keine Distanz, reichten Worte nicht aus, hatten Phrasen keinen Bestand. Vom Sterben wusste er sehr viel, das war nichts Besonderes, bisher aber nicht das Geringste vom Tod, der doch bei näherem Hinsehen ein großer Philosoph war, weil er die Fragen richtigstellte und keine Ausflüchte zuließ. Was also war das Reich der Rhomäer? Und wichtiger: Was konnte es werden? Von der Beantwortung dieser Fragen hingen seine nächsten Schritte ab. Für eine Idee wollte er nach wie vor kämpfen, auch für einen großen und tiefen Traum, nicht aber für eine Illusion, ein Gaukelbild der Eitelkeit. Aber wo sollte er ansetzen? Wie kam man einer Idee auf die Spur? Sein Verstand war nicht philosophisch geschult, methodisches Denken lag ihm fern. Alexios fühlte sich wie ein Anfänger im Schwimmen, den man ins Wasser geworfen hat. Im Grunde hatte er die Arbeit der Philosophen immer verachtet, jetzt wäre ihm ihre Hilfe herzlich willkommen gewesen. Das ungewohnte Nachdenken über ein scheinbar abstraktes Problem strengte ihn merklich an. Dann fand er den Schatten einer Spur. Vielleicht begann ja alles damit, die richtigen Fragen zu stellen! Wie die abendländischen Ritter auf Aventiure ritten, um den Heiligen Gral zu finden, so würde er sich auf die Reise begeben, um seine Antwort, seinen Gral zu finden. Und richtig, sie nahmen alle diese Gefahren auf sich, um ihrer Dame zu Diensten zu sein. Seine Dame aber lag vor ihm im Grab. Für sie wollte er nun losreiten, für Clara von Eger. Und wenn es aus dem Himmel
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