Byzanz
war, sollte sie dereinst auf ihr Reich schauen, sie, seine Kaiserin. Alexios kniete nieder und schwor es als Edelmann und als Ritter des Drachenordens. Die Zeit des Spielens war vorbei, die der Wanderschaft wetterleuchtete.
Alexios war sich selbst noch ein wenig fremd, als er am nächsten Morgen mit Înger erst Richtung Osten aufbrach, um später nach Süden einzuschwenken. So als würde er ein anderer, einer, an den er sich erst gewöhnen musste.
10
Notaras-Palast, Konstantinopel
Die Heimkehr hatte sich Loukas Notaras nach seinem großartigen Verhandlungserfolg am Hofe des Sultans ganz anders vorgestellt. Im Vestibül des Palastes stieß er auf seine Mutter, die wohl das Schlagen der Tür gehört hatte und in die Vorhalle gestürmt kam. Loukas stutzte. Thekla war nicht sorgfältig frisiert wie sonst, die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, und neben ihren Mundwinkeln hatten sich tiefe Falten eingegraben. Ihre ganze Erscheinung verriet eine große Verunsicherung und vor allem Angst. Offenbar hatte sie gehofft, jemand, auf den sie händeringend wartete, sei endlich eingetroffen. Nach dem kurzen Moment der Enttäuschung rief sie ihrem Sohn mit einem Seufzer zu: »Gut, dass du endlich da bist.«
»Ist etwas mit Eirene? Mit Nikolaos?«, fragte Loukas betont ruhig, doch mit wachsender Unruhe, denn er hatte Frau und Kind unmittelbar nach der Geburt verlassen müssen, um nach Edirne zu eilen.
»Nein, deiner Frau und den Kindern geht es gut. Dein Vater …« Mehr brachte Thekla nicht über die Lippen.
»Was ist mit Vater?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was ist mit ihm?«
»Wenn ich es nur wüsste! Er ist schon mehrere Tage nicht nach Hause gekommen. Ich weiß es nicht, wo er steckt.« Loukas Notaras brachte das, was seine Mutter sagte, nicht mit der Person seines Vaters in Zusammenhang. Doch bevor er nachfragen konnte, hallte ein glockenhelles Stimmchen durch die Eingangshalle. »Papa!«, erklang es im Tone vollkommener Begeisterung. »Papa ist zurück!«, triumphierte es. Anna lief jubelnd die Treppe herunter. Das Strahlen in ihren Augen überwältigte Loukas. Kurz darauf, vom Ruf ihrer Schwester alarmiert, erschienen auch schon Theodora, die ihren Stoffhund Dimmi in den Armen hielt, und der kleine Demetrios mit einem Holzschwert in der Hand. »Papa!«
»Papa«, tönte es nun durch das ganze Haus. Schließlich folgte Eirene mit Nikolaos auf dem Arm.
Schon sprang Anna ihren Vater an und erklomm ihn so rücksichtslos, als wäre er ein Berg. Der Kapitän genoss die Begrüßung, stellte Anna aber gleich wieder auf den Boden und kniete sich hin, denn die anderen beiden Kinder verlangten auch, ihren Vater zu umarmen und zu drücken. Loukas grinste in die Runde, denn jetzt folgte das Familienritual, wie immer, wenn er längere Zeit unterwegs gewesen war. Er setzte sich Demetrios auf den Rücken, hob Theodora mit dem linken Arm hoch, Anna mit dem rechten und dachte dabei, dass ihm Anna langsam zu groß und zu schwer dafür wurde. Da er nicht den Mut fand, Anna aus dem Ritual auszuschließen, würde er wohl nicht mehr verreisen dürfen, dachte er scherzhaft. Inzwischen war auch Eirene die Treppe hinuntergekommen und trat zu ihm. An seinem jüngsten Sohn, der es sich auf dem Arm seiner Frau bequem gemacht hatte, konnte sich Loukas kaum sattsehen. An den kleinen Fingern, die sich unaufhörlich bewegten, der Stupsnase, den Lippen und den hellen Augen. Er genoss den süßen Milchgeruch seines Sohnes.
Einen kurzen Moment schweiften seine Gedanken im Angesicht der Familie zu dem Abend zurück, den er beim Sultan auf der Tschökke verbracht hatte. Murad hatte schon recht früh angefangen zu trinken. Irgendwann im Laufe des Abends hatte er wie nebenbei gesagt: »Du bist doch auch ein Vater. Wie kann es sein, dass ich den Sohn, der mir gerade geboren wurde, hasse?« Loukas verstand den Großtürken nicht. Schon wollte er ihn darauf hinweisen, dass es Gotteslästerung sei, seine Kinder nicht zu lieben. In den Augen des Kapitäns war jedes Kind ein Geschöpf und ein Geschenk des Allerhöchsten, ganz gleich, ob man ihn Gott oder Allah nannte. Doch er wollte nicht Gefahr laufen, Murad durch seine Äußerung zu verärgern, so erkundigte er sich stattdessen, wie viel Zeit der Großtürke mit seinem Sohn verbringe. Statt des Herrschers antwortete der Wesir: »Der Sultan verbringt keine Zeit mit seinen Kindern.« Murad lächelte sehr geziert. Es schien ihm inzwischen peinlich zu sein, gefragt zu haben. »Eigentlich ist es auch nicht
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