Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
herumgezogen war, freilich nur, bis sein Vater ihm draufkam und ihm den Umgang verbot. »Ein herrlicher Sommer der Freiheit, der schönste vielleicht«, hatte Nikephoros seine Erzählung beendet.
    »Und dann, und dann, Vater?«, hatte damals der kleine Loukas gequengelt. »Gar nichts weiter. Mein guter Vater schaffte mich auf ein Schiff, und ich lernte erst das Handwerk der Seefahrt und dann des Handels. Er meinte wohl, wer durch die Straßen von Konstantinopel vagabundieren könne, der sei alt genug, um als Schiffsjunge anzuheuern. Dem Sommer der Freiheit folgte also etwas viel Besseres.«
    Nicht ein Wort darüber hinaus bekam Loukas über die Kindheit seines Vaters heraus. Das aber war es, ja, das musste es sein! Mit dem harten Leben eines Schiffsjungen auf dem Handelsschiff endete für seinen Vater die Kindheit. Loukas befahl Eudokimos, mitzukommen, schwang sich auf das Pferd und jagte zum Palast. Dort fragte er seine Mutter aus, ob Nikephoros ihr etwas aus seiner Kindheit erzählt hatte. Angestrengt wendete sie Erinnerung für Erinnerung um. »Dein Vater sprach nur von den fernen Ländern, die er gesehen hatte, um das junge Mädchen, das ich einmal war, zu beeindrucken.«
    So kam er nicht weiter. Die Kindheit seines Vaters schien ein verschlossener Garten zu sein, zu dem Nikephoros Notaras niemandem Zutritt gewährt hatte. Vor dem Palast wartete noch immer Eudokimos, die Zügel beider Pferde in der Hand haltend. Ratlosigkeit stand im Gesicht des Kapitäns, als er den Palast verließ. Wie zum Hohn setzte Nieselregen ein und verwischte die Konturen der Stadt.
    »Wo hast du als Kind gespielt, Eudokimos?«
    »Kindheit?«
    »Mit wie viel Jahren wurdest du Schiffsjunge?«
    »Mit neun.«
    »Und davor?«
    »Half ich meinem Vater.«
    »Jeden Tag ausschließlich?« Eudokimos dachte eine Weile angestrengt nach. »Es gab ein paar Nachbarsjungen …«
    »Wo? Wo habt ihr gespielt?« Über das Gesicht des Steuermanns schlich ein breites Grinsen. »Am liebsten in den Ruinen des alten Kaiserpalastes.«
    »Dort, wo sich allerlei lichtscheues Gesindel herumtreibt?«
    »Ja, deshalb durften wir dort nicht spielen, aber das Abenteuer war einfach zu verlockend. Ich meine, wir waren doch Jungs.«
    »Genau, ihr wart Jungs! Übergib die Pferde dem Knecht und warte!« Das Gesicht des Kapitäns strahlte, als er in den Palast stürmte und kurz drauf mit zwei Säbeln zurückkehrte.
    »Da!« Er warf eine der beiden Waffen Eudokimos zu, dann stürmte er los, dass der Steuermann Mühe hatte, hinterherzukommen. Links von ihnen trotzte die Hagia Sophia umgerührt dem Regen, während rechts von ihnen das einstmals prächtige Hippodrom langsam zerfiel, gelegentlich von jungen Adligen zu Turnieren genutzt. Sie passierten den Goldenen Meilenstein, eine Ruine, deren vier Pfeiler noch in den Himmel ragten, zum Teil durch Arkaden verbunden, aber ohne die schützende Kuppel, die irgendwann einmal eingestürzt war, und schauten gleich darauf in den Innenhof des Augusteions. Unter den Kolonnaden wimmelte er von zerlumpten Gestalten. Manche hatten sich sogar Zimmer aus altem Holz und Vorhängen in den Umgang gebaut.
    »Schau dort nach«, rief er Eudokimos zu. Dann rannte er weiter, passierte das große Eingangstor zum alten Königspalast, Chalke genannt, dessen Torflügel irgendwann einmal verschwunden, verheizt oder verbaut worden waren oder einfach verfaulten. Auf dem Tor thronte eine Rotunde mit langen Fensterlöchern. Alles, was der Mensch errichtete, nahm sich die Natur, sobald es nicht mehr gepflegt und erhalten wurde, zurück. Wie auch wir, dachte Loukas, wohl wieder zu dem werden, was wir einmal waren. Vom Tor aus betrat er das erste der untereinander verbundenen Gebäude, einen alten Schulsaal. Was er hier entdeckte, schnitt in sein Herz. Zerlumpte Gestalten saßen im Kreis und ließen ein kleines Fass kreisen, während sein Vater nur mit einem Lendenschurz bekleidet ungeschickt tanzte. »Wenn ich getanzt habe, bringt ihr mich doch zu meinem Vater zurück? Bitte, bitte, bitte!«
    »Tanz weiter, dann werden wir sehen!« Das Gesindel lachte, betrunken, verlaust, verlumpt, stinkend, mit fauligen Zahnstumpen, schwarz wie die Nacht, es gackerte und wieherte. »Hoch die Beine, hoch die Beine!« »Sonst musst du hier bleiben.« »Da wird sich aber deine Mutter die Augen ausweinen!«, verhöhnte einer erbarmungslos den alten Mann.
    »Ja, ja, ich tanz ja schon, aber bringt mich auch wirklich zurück.« Der Bass des alten Seeräubers stand im erschütternden

Weitere Kostenlose Bücher