Byzanz
dachte sie verärgert. »Aber jetzt sind wir doch mitten im Unterricht!«, wandte sie ein. »Wir reden doch über Philosophie!« Annas Blick war von einer Treuherzigkeit, die wohl auch Steine erweicht hätte.
»Unser Gast ist ein viel beschäftigter Mann und hat wahrlich mehr zu tun, als mit einem kleinen, wenn auch sehr scharfsinnigen Mädchen Philosophie zu treiben!«, erklärte Bessarion bestimmt.
Aber darum ging es ihr ja gerade: herauszufinden, was den Fremden nach Konstantinopel getrieben hatte. Sollte dieser Mann die weite Reise auf sich genommen haben, nur um Bücher zu suchen, oder verbarg sich dahinter noch etwas anderes?
Nikolaus von Kues verabschiedete sich formvollendet, entschuldigte sich fast ein wenig galant bei Anna, dass er ihren Unterricht gestört hatte, und verließ die Wohnung des Abtes.
Anna kostete es große Mühe, vor Bessarion zu verbergen, dass sie in der Unterweisung nicht völlig bei der Sache war. Diesen Fremden umwehte ein Geheimnis, das sie nur zu gern gelüftet hätte!
20
Palast des Alexios Angelos, Konstantinopel
Über den neuen Titel konnte sich Fürst Alexios Angelos so gar nicht freuen. Unter anderen Umständen hätte er die Ernennung zum Befehlshaber, zu einem Befehlshaber der Truppen, gefeiert, denn in der militärischen Hierarchie stand jetzt, vom Kaiser abgesehen, nur noch der Oberbefehlshaber über ihm. Und beide Ränge strebte er an, zumindest den letzten, den des Kaisers. Denn die Unentschlossenheit des Herrschers lag wie Mehltau auf dem Reich.
Dass seinem Erzfeind die gleiche Beförderung zuteilwurde, nur eben nicht im Heer, sondern in der Marine als Admiral, vergällte Alexios die Freude. Es war, als hätte man ihm einen Teller mit der herrlichsten Speise gereicht, nur dass am Rand ein Klecks Exkrement lag, der das ganze Essen verdarb.
Würde er diesen Emporkömmling denn nie hinter sich lassen? Dass er im Unterschied zu Loukas Notaras keine Dukaten für die Beförderung hatte aufwenden müssen, machte das Ganze auch nicht besser. Sein Feind verstand es, die notwendigen Reformen erfolgreich zu blockieren. Nicht einmal mit der Vergrößerung des Geheimen Rates kam er voran, ganz zu schweigen von dem Versuch, die adligen Grundherren für seine Ideen zu gewinnen!
Sphrantzes vermutete, dass Loukas geschickt die tonangebenden Männer unter ihnen entweder bestach oder in seine Handelsfirmen einbezog, was nur eine andere Form der Korruption darstellte. Zumindest war es dem Großkanzler aufgefallen, dass der älteste Sohn des Oberbefehlshabers mit den Produkten seiner Landwirtschaft am Handelsunternehmen der Familie Notaras teilnahm.
Auf dem Weg von Blachernae zu seinem Geheimen Stadtpalast in Vlanga beobachtete er den täglichen Verfall der einst blühenden Hauptstadt, dem Mittelpunkt der Welt, wie er früher dachte. Aus dem Mittelpunkt der Welt wurde der Müllhaufen der Welt. Zwischen den einzelnen Stadteilen, die sich in selbstständige Dörfer verwandelten, erstreckten sich Felder, auf denen Gemüse angebaut wurde. Parks, in denen einst die römische Oberschicht flanierte, wurden zu Ackerflächen. Obdachlose besiedelten die zahlreicher werdenden Ruinen und Müllhalden, manche von ihnen auch Misthaufen, die im Herbst und Winter etwas Wärme boten. Fälle von Kannibalismus traten auf, und der Stadtpräfekt hatte längst den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben, auch wenn er Soldaten patrouillieren ließ. Die Reichen beschäftigten Privatarmeen zu ihrem Schutz, der Mittelstand und die kleinen Handwerker schlossen sich zu Bürgerwehren zusammen.
In der grimmigen Hoffnung, auf dem Weg von Raubmördern angegriffen zu werden und diesem Gesindel bei der Gelegenheit den Garaus zu machen, verzichtete er auf eine Eskorte. Aber mochte es an seiner Größe, seinem entschlossenen Gesichtsausdruck, seinen Waffen, dem Kuvasz, der neben dem Pferd herlief, oder an seiner ganzen kriegerischen Person liegen, bisher hatte es niemand gewagt, ihm vor den Säbel zu springen.
Die Notwendigkeit, den Staat zu reformieren, ließ sich mit Händen greifen, und wenige widersprachen im Befund. Doch wenn es darum ging, konkrete Schritte zu planen, prasselten die Einwände wie die Pfeile feindlicher Bogenschützen zu Beginn einer Schlacht auf ihn nieder. Wut und Verzweiflung hielten sich die Waage. In Turnieren und Gelagen versuchte er, seine heiß laufenden Gedanken zu kühlen. Er trank mehr als früher.
Missmutig betrat er den Stadtpalast, da kam ihm Emilija entgegen, seine Geliebte, eine
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