Byzanz
vordere Zahnreihe splitterte, der Domestik vor Schmerz aufschrie und Blut spuckte. Das versetzte ihn allerdings in Wut. Mit wilden Angriffen versuchte er, den Fremden zu treffen. Der ging rückwärts, bis er an einen Tisch stieß, der an einer Wand stand. Jetzt kam er nicht mehr weg. An der Freude in den Augen seines Widersachers erkannte er das Aussichtslose seiner Lage. »Jetzt geht es dir an den Kragen, erst dir, dann dem Fürsten.« Alexios erkannte am leeren Blick des Mannes, der ihm ungewollt zu Hilfe gekommen war, dass er Griechisch nicht verstand. Verdammt, durchfuhr es Alexios, er ist ein Bote Giuliano Cesarinis. Mit aller Kraft erhob sich der Fürst, der Diener drehte sich kurz nach ihm um, doch Alexios musste sich am Tisch festhalten, um nicht zu stürzen. Alles drehte sich um ihn. Er vermisste plötzlich seinen Hund. Wo war Înger, sein Schutzengel auf vier Pfoten? Der Kuvasz ließ ihn sonst nie allein, schon gar nicht in gefährlichen Situationen. Auf dem stoppeligen Gesicht des Dieners rekelte sich ein verworfenes Lächeln, schmutzig, voller Befriedigung. »Gib’s auf, Fürst. Es ist zu Ende. Ich soll Euch von der Königin grüßen.« Da begriff Alexios Angelos, dass Andreas der Drahtzieher war, nicht Emilija, die hatte er nur zu diesem Zweck angeheuert, und er spürte, dass ihm die Kraft fehlte, den Mann aufzuhalten. Als der stoppelige Kerl sich wieder dem Fremden zuwandte, um ihn zu töten, warf der ihm das Salz, das er geistesgegenwärtig aus dem in seiner Nähe stehenden Fass gegriffen hatte, in die Augen. Andreas schrie auf, ließ das Messer fallen und schöpfte mit beiden Händen Wasser aus dem Bottich, das er sich in die Augen warf, um das Salz herauszuspülen. Alexios griff nach einem Küchenmesser, das in seiner Reichweite lag, und stieß es mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, dem falschen Diener von hinten in die Seite. Der zog scharf die Luft ein und brach zusammen. Alexios hatte zielsicher die Leber getroffen. Nun wurde ihm schwarz vor Augen.
21
Notaras-Palast, Konstantinopel
Die Mitglieder der Familie Notaras hatten sich im Speisezimmer um den großen Tisch versammelt und aßen gemeinsam zu Abend. Es gab erst eine Hühnerbrühe, dann gebratenes Huhn und dazu Reis.
»Jetzt bist du sogar Admiral, aber auf eine Seereise hast du mich nie mitgenommen, obwohl du mir das vor der Heirat versprochen hast«, beschwerte sich Eirene halb im Scherz, halb im Ernst.
»Nur, weil du damit beschäftigt warst, all die bezaubernden Notaras auf die Welt zu bringen«, verteidigte sich Loukas.
»Jetzt sind wir Kinder also schuld daran, dass du deine Versprechen nicht einhältst«, empörte sich Anna.
»Hättest du mich auch geheiratet, wenn ich dir das nicht versprochen hätte?«, ging Loukas aufs Ganze. Doch auf die Antwort musste er verzichten, denn in dem Moment meldete der Diener einen seiner Spitzel.
»Entschuldigt, ich bin gleich wieder da«, sagte er in die Runde, stand auf und verließ den Saal. Alle schauten ihm neugierig nach.
»Hättest du?«, fragte die unerbittliche Anna ihre Mutter.
»Das geht dich, junge Dame, nichts an«, beschied Eirene ihre Tochter freundlich.
»Gewiss doch, aus viererlei Gründen, einer so gewichtig wie der andere. Denn sonst wären meine Geschwister und ich nicht auf der Welt. Die Beantwortung der Frage setzt uns, deine Kinder, in Kenntnis darüber, ob Liebe oder Genusssucht der Grund deiner Heirat und unserer Existenz ist«, dozierte sie mit ernstem Gesichtsausdruck, jeder Zoll eine kleine Gelehrte.
Eirene musste schmunzeln. »Ich fürchte, wir müssen die Philosophiestunden bei Bessarion einschränken. Das Denken führt dich auf Abwege.« Eirene griff nach dem Weinglas, um zu trinken.
»Die Antwort …« Weiter kam Anna jedoch nicht, denn ihr Vater kehrte in den Saal zurück, und alle Augen hefteten sich auf ihn.
»Viel Merkwürdiges geschieht in unserer Stadt. Denkt Euch, man hat versucht, den Fürsten Alexios Angelos zu vergiften.«
Eirene fiel das teure venezianische Glas aus der Hand, das mit hellem Klang in tausend Splitter zersprang. Die Abneigung gegen den Fürsten gehörte nun schon so viele Jahre zu ihrem Leben, dass sie die nicht mehr missen wollte.
»Das scheint dir ja sehr nahezugehen«, wunderte sich Loukas.
»Mir geht nahe, dass unsere Stadt immer unsicherer wird«, erwiderte Eirene kühl.
»Angelos wäre längst in der Hölle, wenn nicht in letzter Minute ein Lateiner mit Namen Nikolaus von Kues, der ihn besuchen wollte, aufgetaucht
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