Byzanz
an. Neben ihm hatte sich Ioanna schweigend niedergelassen. Ihr ganzes Wesen bestand aus Stille. Auf eigene Weise war sie hier und auch wieder nicht. Er schenkte ihr zwar keine Aufmerksamkeit, dennoch genoss er ihre Anwesenheit.
Ein paar Tage später fühlte sich der Fürst wieder kräftig genug, um in die Politik einzugreifen. Diesmal hatte er sich mit Sphrantzes zusammen vorbereitet und eine Rede erarbeitet, in der er Sigismund pries, der als Kreuzfahrer und Kaiser des Westens dem Kaiser des Ostens zu Hilfe käme, und beide, Sigismund und Johannes VIII., würden die Türken vertreiben, die Seldschuken schlagen, Jerusalem zurückerobern und in Anatolien und Persien, in Palästina und Ägypten das ewige Reich der Rhomäer wieder aufrichten. Die historische Stunde war da, Gott schritt an ihrer Seite. Der Papst hatte zum Kreuzzug aufgerufen, und der Kaiser sammelte die christlichen Fürsten. Jetzt musste nur noch der Kaiser, der Erste aller Rhomäer, das Schwert ergreifen. Doch zuvor müsste die Kirche geeint werden. Dazu bedürfe es nicht viel: Der Gesandte des Papstes befände sich ja in der Stadt. Mit der Bitte um eine Audienz für Nikolaus von Kues wollte Alexios Angelos seine große Rede beenden. Beschwingt ging er zum Kaiserpalast hinüber und eilte die Treppen zum Besprechungssaal des Geheimen Rates hinauf. Alles in ihm war Tatkraft und Durchsetzungswillen. Nichts, auch kein Loukas Notaras konnte ihn jetzt noch aufhalten. Der Kaiser würde das Gesicht verlieren, wenn er sich dem entzöge, was Alexios forderte. Außerdem hatte Johannes über Sphrantzes den Fürsten wissen lassen, dass er eine solche Rede von ihm erwartete, auf die er dann eingehen könne. Der Kreuzzug war zum Greifen nahe! Endlich würde eine geeinte Christenheit den Antichristen schlagen.
Der Saal füllte sich, die Räte nahmen Platz und warteten auf den Kaiser. Alexios spürte das erste Mal die Aufregung in seinen Adern. Von seiner Rede würde die Zukunft der Christen abhängen. Er hatte sie auswendig gelernt, wieder und wieder memoriert. Der Kaiser erteilte ihm das Wort, und Alexios spürte, wie er mit jedem Wort sicherer wurde und die Herzen der Zuhörer gewann, bis auf eines. Es kam selten vor, doch dieses Mal applaudierten die Anwesenden bis auf einen.
Johannes dankte dem Redner. »Wenn Sigismund das Kreuz nimmt, dann werden wir nicht verzagt am Rande stehen, sondern mit unserem Bruder für die Ehre der Christenheit kämpfen!«
Alexios strahlte, er war am Ziel seiner Wünsche. Aber so hatte es Gott gewollt, indem er den Lateiner Nikolaus von Kues schickte, um das Leben des rhomäischen Fürsten zu retten. Gab es denn ein besseres Symbol dafür, dachte der Fürst, wie überlebenswichtig es ist, dass Ost und West zusammenstehen, die geeinte Christenheit gegen die Heiden?
Er vergaß dabei nur, dass nicht die Türken, sondern Sigismunds Gemahlin, eine Christin, ihm nach dem Leben trachtete. Aber was sollte er sich in der Stunde des Triumphes mit solchen Kleinigkeiten abgeben.
24
Basiliuskloster, Konstantinopel
Anna stand kaum in Bessarions Wohnung, um mit dem Abt Philosophie zu treiben, als sich wie auf Bestellung Nikolaus von Kues einstellte. Nur wegen ihr. Das freute und verunsicherte sie, denn dass es nicht das Gleiche war, als wenn sie Bessarion traf, merkte sie schon. Es fühlte sich anders an, fremd, rau wie Sackleinen und dann wieder fein wie Seide, und ebendieses andere, Unbekannte beunruhigte sie. Plötzlich wünschte sie sich, möglichst weit weg zu sein, dann wieder fürchtete sie, dass der Wunsch in Erfüllung ginge. Zum ersten Mal in ihrem Leben peinigten sie gegensätzliche Empfindungen: Sie wollte fortgehen und dennoch bleiben, fliehen, aber den Ort nicht verlassen.
»Verzeiht, wenn ich schon wieder den Unterricht störe, liebe Anna, lieber Freund. Ich verspreche, dass ich es nicht zur Gewohnheit werden lassen will. Aber Eure Schülerin hatte mir versprochen, mir bei der Jagd nach Handschriften in der Bibliothek behilflich zu sein. Ihr wisst, ich spreche kein Griechisch, sie hingegen ausgezeichnet Latein. Und Eure Zeit, verehrter Hegumenos, ist begrenzt.« Bessarion wirkte überrumpelt. Unschlüssig blickte er von ihm zu ihr und wieder zurück. Dann hellte sich seine Miene auf. »Kommt doch in einer Stunde in die Klosterbibliothek. Ich führe Anna ein, und dann könnt ihr beide auf Bücherjagd gehen.« Sich bedankend zog sich Nikolaus von Kues zurück.
Anna Notaras betrat zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bibliothek,
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