Byzanz
Loukas Nikolaus von Kues.
»Mein Wort darauf!«
»Das kam mir doch etwas schnell. Man fragt sich, was das Wort eines Lateiners wert ist, da doch Zeugen aussagen, dass Ihr meine Tochter sogar in den Armen gehalten habt.«
»Hast du?«, fragte Bessarion erschüttert.
»Formaliter ja, causaliter und finaliter nein.«
»Kommt mir jetzt nicht mit Eurem Philosophengewäsch. Ich habe eine einfache Frage gestellt, die man mit Ja oder mit Nein beantworten kann!«, ließ sich der Admiral nicht beirren, zumal er gar nicht wusste, was der Lateiner mit dieser Unterscheidung meinte.
»Es war weder beabsichtigt noch gewollt, aber für einen kurzen Moment ist es geschehen, wie man jemanden auffängt, wenn er stolpert.«
»Ihr habt Keuschheit geschworen, da fängt man niemanden auf, schon gar kein Mädchen von sechzehn Jahren.«
»Ich habe keine Weihen empfangen. Ich bin kein Priester.«
»Umso schlimmer! Wusstest du das, Bessarion?« Der Abt schaute sehr unglücklich drein.
»Aber deswegen habe ich noch lange nichts getan, was Ihr mir verübeln dürftet und was ich mir vorwerfen müsste. Eines aber sage ich Euch. Ihr könnt stolz darauf sein, eine Tochter wie die Eure zu haben. Besäßen doch viel mehr Söhne das Format Eurer Tochter, dann stünde es um die Welt besser«, erklärte Nikolaus, als stünde er auf der Kanzel. Aber Loukas schüttelte den Kopf in einer Art, als hielte er sich die Ohren zu. »Es klingt gut, aber glauben, glauben kann ich Euch nichts. Ihr versteht nur allzu gut das Geschäft der Worte und seid in einer Situation, in der Ihr versucht seid, alles zu sagen, um an Euer Ziel zu kommen.« Nikolaus von Kues lachte laut auf, dann nahm er den Admiral scharf in den Blick. »Ja, Ihr habt recht, ich liebe Eure Tochter. Ich liebe aufrichtigen Herzens, was sie denkt und wie sie denkt, und wenn ich sie umarmen möchte, dann ist es mein Geist, der ihren Geist umfangen will. Nicht aber mein Körper! Glaubt es oder glaubt es nicht! Weit konsequenter noch und weit eifersüchtiger als Ihr würde ich ihre Jungfräulichkeit verteidigen, denn sie schützt wie eine undurchdringliche Dornenhecke ihren Geist. Sie kann viel erreichen, und sie wird auf viel verzichten müssen. Aber Eure Tochter, Loukas Notaras, ist ein Gottesgeschenk! Sie ist etwas Außergewöhnliches. Vertraut ihr – Gott wird sie schützen. Und wenn Ihr Eurer Tochter nicht vertrauen wollt, dann vertraut auf Gott, denn er hat es so eingerichtet, weil er es so will. Gott, Loukas Notaras, hat Euch diese Tochter geschenkt.«
Dort, wo er Sicherheit am dringendsten benötigte, spürte er nichts anderes als Unsicherheit. Alles, was der Lateiner sagte, ging ihm zu Herzen, doch zu sehr, zu genau. Der Fremde war ein erfahrener Redner, dessen Geschäft darin bestand, ihn zu überzeugen, indem er sagte, was er zu hören wünschte. Gebot denn nicht die Klugheit, dort misstrauisch zu sein, wo der Instinkt durch eine geschickte Argumentation eingeschläfert werden sollte? Wenn der Verstand auf der einen Seite und das Bauchgefühl auf der anderen Seite stand – wem von beiden sekundierte dann die Wahrheit?
»Nein, Herr Lateiner, Ihr sprecht von der Umarmung des Geistes. Das klingt gut, nur weiß ich nicht, wo Euer Geist sitzt. Bei manchen im Kopf, bei anderen auf der Zunge, wieder andere tragen ihn im Bauch und die Verrufensten in ihren Genitalien. Versteht mich nicht falsch, ich will einem Mann nicht seine Lebensweise vorwerfen, das liegt mir wahrlich fern, aber ich bin auch ein Vater, und es ist meine Aufgabe, mein Kind zu schützen. Ich wünsche Euch Gottes Segen, aber lieber bin ich stets zu vorsichtig als einmal zu nachlässig. Wie gesagt, ich bin ein Vater, ich kann es mir nicht leisten, unvorsichtig zu sein.« Mit einem knappen Kopfnicken, das sowohl Abschied als auch Warnung als auch Kampfansage bedeutete, verließ der Admiral den Raum. Bessarion, dem das alles zutiefst peinlich war und der augenscheinlich die ganze Geschichte immer noch nicht begriffen hatte, atmete hörbar aus. »Er wird drüber nachdenken«, sagte Bessarion sicher, und es klang so, als hätte er gesagt, der Heißsporn werde schon Vernunft annehmen.
Nikolaus von Kues jedoch versank in Schweigen. Und kratzte aufgeregt seine Nase, bevor er den Zeigefinger auf den Abt richtete. »Das wird er nicht tun. Denn er ist eitel. Er steht nicht im Konflikt zwischen Wahrheit und Lüge, sondern zwischen seinem Urteil und seinem Vorurteil, und in dieser Auseinandersetzung gewinnt zumeist das Vorurteil.
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