Byzanz
nichts, bis Jaroslawa ihm erklärte, dass sie den Leuchter so gestellt hatte, dass der Schatten, den er warf, das kleine Tier um ein Vielfaches übertraf. Der Junge staunte und versuchte seine Angst, den Leuchter, den großen Schatten und den kleinen Hund zu verstehen. Sie ließ ihm etwas Zeit, dann erklärte sie kalt: »So ist es mit dem Schrecken, mein Sohn, der Schecken, den du verbreitest, muss viel größer sein als du, nur dann schützt er dich. Habe keine Angst und verbreite Schrecken! Der Schrecken wird dich schützen!«
Bei der Ausbildung ihres Sohnes ging Jaroslawa selbst durch die Hölle. Sie fühlte sich oft als die schlimmste aller Mütter, weil sie ihr Kind misshandelte. Aber sie wollte, dass Mehmed im Herzen ein Herrscher war, wenn sie starb, dass er nicht zum Opfer wurde wie ihr Vater und ihre Mutter, und das gelang nur, wenn er sich zum Herrn der Herren aufschwang. Dieses Wissen und die dafür notwendige Gewissenlosigkeit wollte sie ihm hinterlassen.
32
Kaiserpalast, Konstantinopel
Manchmal, wenn Alexios mit Ioanna spazieren ging oder wenn sie im Innenhof des Palastes Ball spielten, fiel ihm auf, dass sie viel jünger war als er, mindestens zehn Jahre. Zehn ganze Jahre. Es lag aber nicht nur am Alter, sondern auch an dem, was sie erlebt hatten. Ihre Naivität wirkte auf ihn reinigend, als ob ihr Lächeln allen Verrat, den er begangen, und alles Blut, das er vergossen hatte, abwusch.
Als sie eines Sonntags nach dem Gottesdienst in der Marienkirche im Blachernenviertel zu ihrem Palast zurückgingen, schmiegte sich Ioanna an ihn und forderte ihn auf, die Ehe endlich zu vollziehen. Alexios stutzte.
»Ich denke, wir kennen uns jetzt lange genug«, fügte sie entschlossen hinzu. Seltsam aufgeregt betraten sie den Palast. Jede Treppenstufe erhöhte nur das Knistern zwischen ihnen, das seinem Höhepunkt zustrebte, als sie das Schlafzimmer betraten. Alexios fühlte sich verantwortlich, zum ersten Mal, da er die Erfahrung besaß. Also schenkte er ihr und sich Zeit, schwelgte in einfachen Zärtlichkeiten. Darüber ging der Mittag dahin. Ihr Liebesspiel blieb einfach, ohne Raffinesse, und wider Erwarten beglückte es ihn. Nicht Wut noch Macht noch Kampf noch Stolz spielten eine Rolle, nur der Wunsch, sich zu haben, einander zu fühlen.
Am späten Nachmittag bestellte Alexios ein paar Musiker in den Palast, die beim Abendessen aufspielten. Ioanna und er feierten ihre wahre Hochzeit, denn nun hatten sie die Ehe auch vollzogen.
Fünf Meilen entfernt von dem Ehepaar, das sich in ein Liebespaar verwandelt hatte, saßen Loukas und Eirene mit ihrer Tochter Anna zusammen, um ein höchst wichtiges Thema zu besprechen. Es half nichts, aber Anna kam in ein Alter, in dem es an der Zeit war, ihr einen Mann zu suchen. Ihre kleine Schwester Theodora war bereits mit einem Sohn des Oberbefehlshabers Kantakuzenos verlobt.
»Leiste ich keine gute Arbeit im Kontor?«
»Doch, du bist mit deinen zwanzig Jahren der beste Kontorist, den wir haben.«
»Na, siehst du«, triumphierte die junge Frau.
»Aber du bist eine Frau! Deine Bestimmung ist es nicht, Kaufmann zu werden, deine Bestimmung ist es, zu heiraten und Kinder zu bekommen«, sagte Eirene mit sanfter Verzweiflung.
Und Loukas dachte, welch ein Jammer. Sie besaß eine starke Begabung für das Geschäft.
»Du hast Geschäftsverbindungen zu den Italienern, nach Genua, nach Venedig?«, fragte ihn Anna überraschend.
»Ja, das weißt du doch.«
»Dann nenne mir jemand aus der Familie, der Latein und Italienisch so beherrscht wie ich!« Der Admiral senkte den Blick. Sowohl Mitri als auch Nikolaos lernten die Sprachen nur widerwillig. Die Jungen liebten die Bewegung, sie balgten gerne und erwärmten sich fürs Reiten, fürs Fechten und erzählten sich Rittergeschichten. Welch ein Jammer!, dachte er wieder.
»Gebt euch keine Mühe, ich werde nicht heiraten, um einen Mann zu bedienen!«
»Ich habe doch auch geheiratet«, gab Eirene empört von sich.
»Ja, aber so ein Mann wie Papa findet sich nicht noch einmal auf der Welt.« Dann feixte sie, voller Vorfreude auf ihre kleine Boshaftigkeit. »Den einzigen Mann, den ich genommen hätte, hast du mir ja nun weggeschnappt.«
»Woher willst du denn wissen, dass es keinen Mann für dich gibt?« Eirene gab nicht auf.
Anna faltete verzweifelt die Hände und bewegte sie genervt auf und ab. »Mama, ich weiß es«, stieß sie gedehnt hervor, so als hätte sie das schon tausendmal gesagt.
»Willst du als alte Jungfer sterben?«,
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