Byzanz
dich da«, rief die rundliche Frau, nachdem sie geklopft hatte, durch die Tür. Helena, die den Klosternamen Hypomone angenommen hatte, öffnete die Tür. Das Gesicht der alten Frau wirkte mit seinen tausend kleinen Fältchen wie ein freundliches Gewässer, das sanft ein Lufthauch streifte. Ihre Augen, die von Jahr zu Jahr heller wurden, hatten einen Azurton erreicht, über dem wie Wolken die weißen Haare standen.
»Die Geschäftsmänner der Familie Notaras«, begrüßte die Greisin die beiden nicht ohne Spott.
Nachdem sie sich auf Schemeln niedergelassen hatten, berichtete Loukas, ohne eine Regung erkennen zu lassen, von den Ereignissen und von der Haltung des Kaisers. Helena hörte sich alles in größter Ruhe an.
»Wie hätte Manuel sich verhalten?«, fragte sie, erwartete aber keine Antwort. »Als junger Kaiser hätte er gekämpft, als erfahrener Kaiser hätte er wohl abgewartet.«
»Johannes ist aber kein junger Kaiser mehr«, warf Anna ein. Helena schaute missbilligend zu ihrer Enkelin.
»Du bist nicht hier, um zu reden, sondern um zuzuhören«, sagte Loukas streng. Blut schoss ihr ins Gesicht, das ganz heiß wurde.
»Auch nicht, um uns zu zeigen, dass du dich jetzt schämst«, schalt die Greisin ihre Urenkelin hart. Anna schluckte.
»Sei nicht zu streng mit dir, Anna. Bring Geduld auf und lerne!«, fügte Helena hinzu. »Lerne zwischen den Worten zu lesen. Dein Vater, du und ich, wir wissen alle, dass Johannes nicht mehr jung ist und seit zwanzig Jahren mehr schlecht als recht regiert. Aber ich werde mich nicht öffentlich gegen meinen Sohn stellen. Schließlich ist er der Kaiser. Und dein Vater ist in diesem Moment nicht der Mann meiner Enkelin, sondern der Admiral. Damit besitzt das Gespräch einen öffentlichen Charakter, denn es geht hier um nichts Privates.«
»Großadmiral«, verbesserte Loukas.
»Wie?« Die Alte hielt sich die Hand ans Ohr.
»Der Kaiser hat mich heute zum Großadmiral ernannt.«
»Mit Speck fängt man Mäuse, denkt mein Sohn wohl. Nur ist Loukas Notaras keine Maus, sondern ein gerissener Fuchs. Was hast du vor?« Und dann traute Anna ihren Ohren nicht, denn ihr Vater schlug nichts Geringeres vor, als die Vorbereitungen zum Kreuzzug zu hintertreiben und zu sabotieren.
»Wenn wir uns auf dieses Abenteuer einlassen, wird das unser Ende sein. Entweder siegt Murad, dann wird er Konstantinopel erobern. Oder, was ich nicht glaube, der junge König von Ungarn gewinnt, und dann werden die Lateiner, wenn sie schon mal in Edirne sind, in unsere Stadt einmarschieren. Wir wurden schon einmal siebzig Jahre lang von Franken beherrscht. Ihnen ist nicht zu trauen.«
Helena nickte und versprach, ihrem Sohn ins Gewissen zu reden und sich nach und nach mit den Mitgliedern des Geheimen Rates einzeln zu unterhalten. Anna begriff, in Geschäften und in der Politik kam es nicht darauf an, zu hören, was der andere sagte, sondern was er meinte.
Aus nächster Nähe erlebte das Mädchen den Erfolg ihres Vaters, denn in Sachen Kreuzzug kam in Konstantinopel nichts in Gang. Die Begeisterung im Geheimen Rat bröckelte, Johannes selbst war zwischen Anfällen von Tatkraft und Rückfällen in tiefste Depression hin und her gerissen. Was er heute sagte, widerrief er morgen. Loukas genoss die enge Zusammenarbeit mit seiner Tochter. Ihn beeindruckte, wie schnell sie lernte und welche Sicherheit im Urteil sie an den Tag legte. Widerspruch erwuchs ihm allerdings dort, wo er ihn nicht erwartet hatte. Eirene begann, an der Richtigkeit seiner Politik zu zweifeln. Ihr Verstand akzeptierte die Argumentation ihres Mannes, aber ihr Herz hörte auf eine andere Vernunft.
»Wie immer wir es auch nennen, Loukas, ist es nicht Verrat?«, fragte sie ihren Mann eines Morgens noch im Bett nach mehreren schlaflos zugebrachten Nächten, in denen sich ihre Gedanken gejagt hatten.
»Es ist kein Verrat, es ist das Gegenteil davon!«, versicherte er ihr und beschloss gleichzeitig, ihr weniger zu erzählen.
*
So verging der Sommer im gespannten Nichtstun. Ungläubig reagierte man auf die guten Nachrichten, denn das Kreuzzugsheer kämpfte sich siegend durch Serbien. Der Bruder des Kaisers, Konstantin, der inzwischen in Mistra regierte, besiegte die Türken und die letzten Franken auf der Peloponnes. Doch in Konstantinopel herrschte leere Geschäftigkeit.
Der Winter kam früh in diesem Jahr. Die Familie Notaras saß vergnügt um den runden Tisch im Speisezimmer des Palastes. Loukas blickte in die Runde, und ihm wurde warm ums
Weitere Kostenlose Bücher