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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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eher wie Bruder und Schwester – und er genoss es. Aber mit der Zeit wurden die Fragen seines Vaters, seiner Mutter immer drängender, wann denn endlich ein Enkel zu erwarten sei. Und seine Mutter erkundigte sich immer wieder, zumal sie nicht verstand, warum Annas Teint immer noch so jungfräulich war. Hatte er etwa die Ehe noch nicht vollzogen? Er versuchte, sich den Fragen zu entziehen, doch umso mehr er sich zurückzog, umso fordernder wurden sie. Adlige Männer, die im Ruf standen, die schlimmsten Hurentreiber zu sein, wurden einbestellt, um Johannes mit in die Edelbordelle zu nehmen. Er fand es abstoßend, mondo cane , wie die Lateiner sagten. Dann nahm ihn ein Edelmann mit in ein Etablissement, in dem es keine Frauen gab, nur Jünglinge. Das fand er noch abstoßender. Er übergab sich.
    Es war zum Verzweifeln! Warum musste man sich denn für Frauen oder für Männer, für Mädchen oder Jünglinge interessieren? Weshalb gab es niemanden, der es akzeptierte, wenn man kein Vergnügen an diesen Zipfelspielen fand? Für Johannes stand fest, dass die Geschlechtlichkeit bei Weitem überschätzt wurde.
    Wie sehr hatte er hingegen die Stunden mit seiner Frau genossen, in denen sie Schach spielten, sich Geschichten erzählten, etwas lasen oder den Schauspielern zusahen. Oder sie spielten im Park fangen, veranstalteten Maskenbälle und tanzten. Das ausgelassene Spiel im Park aber liebte er besonders – es war, als ob er seine ausgefallene Kindheit nachholen durfte.
    Die Verpflichtung, die Ehe endlich zu vollziehen, einen Erben zu zeugen, um die Dynastie, die Herrscherfamilie abzusichern, lastete von Tag zu Tag immer stärker auf ihm, wie ein Zentnergewicht, unter dem er sich krümmte und nach Atem rang. Seine Mutter drohte, die Ehe zu annullieren, was bei einer nicht vollzogenen Ehe jederzeit möglich war, und sein Vater, ihn nicht zum Nachfolger einzusetzen.
    Dabei wollte er doch Kaiser werden! Deswegen studierte er die Gesetze und die Juristen, die Theologen und Philosophen, alles, was mit der Leitung des Staates in Zusammenhang stand – und das, seit er sechs Jahre alt war. In seinem Leben hatte es bisher nichts anderes gegeben. Es war das Einzige, was für ihn im Leben zählte, nicht Reichtum, nicht Luxus oder Genuss, nicht Wollust noch Vergnügen, nur das Herrschen als Kaiser der Rhomäer. Kein Tag verging, an dem seine Eltern ihn nicht bedrängten oder ihm drohten. Er begann schon, sich zu verstecken, durch die Paläste zu schleichen in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. In seiner Einsamkeit, in seinen Schuldgefühlen hatte er sich schließlich gesagt, dass es nur eines einzigen Beischlafs bedurfte, um diese quälende Situation zu beenden.
    Er hatte sich durchgerungen, mit Anna darüber zu sprechen und bei ihr Rat zu suchen. Noch heute schämte er sich, wenn er an das Gespräch zurückdachte. Er hatte gestottert und die Augen gesenkt gehalten, während er spürte, wie sie die Panik unterdrückte, die in ihr aufstieg. Instinktiv wussten beide, dass damit das Wichtigste in ihrer Beziehung enden würde, die Unbeschwertheit. Anna vertraute ihm. Mit unsicherem Blick willigte sie ein und versuchte sogar noch, ihn zu trösten.
    Und dann kam die Nacht, in der sein Leben zerbrach. Wie gern hätte er diese Minuten ungeschehen gemacht. Er hatte sich vollkommen betrunken und war, um es ein für alle Mal hinter sich zu bringen, in ihr Schlafgemach gestürmt. Anna ließ alles über sich ergehen, biss sich vor Schmerzen die Lippen wund, um nicht zu schreien und ihn, ihren Peiniger, nicht zu verunsichern. Nie, niemals würde er die verschluckten Laute vergessen, dieses gepresste mama, mama, bosche moj, bosche moj, mama, pomogitje mnje, pomogitje! Mama, mein Gott, hilf mir!
    Er hatte sie nicht ansehen können, und so war sein Blick auf den Kamin gefallen. Die Flammen loderten, und so wie die Feuerzungen wollte auch er sein. Wie ein wirklicher Kaiser. Er hatte gespürt, wie seine Kraft nachließ, und war dennoch immer wieder gegen ihre Jungfräulichkeit angerannt. Trotz des ganzen Blutes hatte er niemals erfahren, ob er das Hymen durchstoßen hatte oder nicht. Als er aus seiner Raserei erwachte, war er von ihr heruntergekrochen. Vor lauter Scham hatte er sie nicht angesehen, war wortlos aus dem Zimmer gewankt und brüllend und heulend durch den Park gelaufen, bis er schließlich zusammenbrach. Ein Diener hatte ihn schließlich ins Bett gebracht.
    Am anderen Morgen erinnerte er sich nicht an viel, nur daran, dass er seine

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