Byzanz
des Pinsels. Du darfst nicht pfuschen, nicht ungeduldig werden, nicht zu schnell fertig werden wollen, denn ein schlechter Pinsel verdirbt die ganze Arbeit«, erklärte er.
Schließlich nahm er die Borsten auseinander und legte sie mit viel Sorgfalt vollkommen gleichmäßig zurecht und band sie dann geschickt mit einem gewichsten Faden zusammen.
»Es muss Seide sein!«, belehrte der Mönch seinen jungen Schüler. »Hörst du, nur Seide eignet sich als Faden. Und binde den Pinsel niemals zu lange, die Haare könnten brechen.« Aus einem Tonkrug nahm er einen Federkiel, den er dort eingeweicht hatte, und steckte nun den Pinsel hinein.
»Und was wird aus den Schwanzenden?«, fragte Demetrios.
»Daraus machen wir große Pinsel, mit denen wir den Goldgrund auftragen können.«
Die Tafel musste gründlich trocknen. Die Zeit des Wartens nutzte Demetrios, um unter Anleitung des Mönches seinen ersten eigenen Pinsel zu fertigen. Dabei stellte er sich geschickt an und entwickelte in der Akribie Leidenschaft.
Am nächsten Tag schliffen sie die Tafel, malten und vergoldeten den Grund. Einen Tag später begann Dionysios, mit den Kohlestiften das Bild zu skizzieren: Die Gottesmutter hielt Jesus in der linken Hand, der aufrecht stehend mit der rechten Hand segnete, während die linke Hand eine Schriftrolle umfasste. Mit ihrer rechten Hand zeigte Maria auf das Kind. Damit wies sie dem Betrachter den Weg, den er im Leben einschlagen sollte, nämlich, in der Nachfolge Christi zu leben. Deshalb nannte man sie auch hodegetria , die Wegweiserin.
»Was mag auf der Schriftrolle stehen?«, rätselte Demetrios.
»Unser Trost und unsere Hoffnung«, antwortete der Mönch etwas undurchsichtig. »Es steht dort«, fuhr der Meister nach einer Pause fort, die er eingelegt hatte, um die Neugier seines Schülers zu reizen: »›Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzelnen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Weisheit.‹« Demetrios lauschte. »Der Prolog des Evangeliums von Sankt Johannes«, sagte er. Der Mönch kniff ein Auge zu. »Und weißt du, was das heißt?«
»Ja, dass Gott seinen Sohn zur Erde geschickt hat.«
»Das stimmt. Gott hat seinen Sohn auf die Welt geschickt, um uns Menschen den Weg der Erlösung, den Weg in Gottes Reich zu weisen, denn, so haben es die heiligen Väter in der Lehre des Glaubens festgehalten, für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. So wie auch wir auferstehen und in den Himmel auffahren können. Christus ist nicht nur der Kyrios, sondern auch unser Führer, unser hodegos in den Himmel. Deshalb heißt die Ikone auch die Hodegetria, die Wegweisende.« Dann verriet der Mönch dem Jungen, dass das Urbild dieser Ikone ein Acheiropoieton sei, ein nicht von Menschen geschaffenes Kultbild.
»Aber wer, Meister, hat es dann gemalt?«, fragte Demetrios mit großen Augen.
Dionysios erzählte ihm von dem König Abgar von Edessa. Dieser hatte einst Boten zu Jesus Christus geschickt, die darum baten, dass er mit ihnen nach Edessa ginge, weil der König krank an Leib und Seele sei und sich von Jesus Heilung erhoffe. Der Herr jedoch nahm ein Tuch und drückte sein Gesicht hinein. Mit dem Abbild Jesu in dem Tuch kehrten die Boten nach Edessa zurück. Abgar sah den Abdruck, das Bild des Herrn, und genas zusehends. Dieses Bildnis aber war die erste Ikone, ein Acheiropoieton. Einst bewahrten die Mönche das Bild in der Hagia Sophia auf, doch es wurde geraubt, als die Lateiner Konstantinopel plünderten. Niemand wusste, wo sich das Tuch nun befand. In Rom, in Spanien oder doch noch in Konstantinopel? Es blieb ein Geheimnis, das die Zeit versiegelt hatte.
Doch immer wieder hatten Mönche das Bildnis kopiert. Einst malte der Arzt Lukas, der Evangelist, die Muttergottes oder besser, dieses Bildnis wurde dem Lukas von der heiligen Frau eingegeben. Das Bildnis selbst gelangte in eine Klosterkirche nach Konstantinopel. Ein Führer von blinden Pilgern, ein hodegos , zeigte ihnen die Klosterkirche, wo sie das Bildnis der Gottesmutter fanden. Leider ging auch diese Ikone verloren, als die Lateiner Konstantinopel plünderten.
»Vielleicht hat Gott das Bildnis
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