Byzanz
Er durfte ihm dienen, das sollte genügen, denn der junge Kapitän zählte weder zu seinen Beratern noch zu seinen Vertrauten, sodass es Johannes für überflüssig hielt, ihn allzu tief in seine Überlegungen einzubeziehen.
»Ich werde Euch nicht enttäuschen.«
»Denke immer daran, dass du nicht in offizieller Mission unterwegs bist und unser Gespräch niemals stattgefunden hat.«
»Ich reise selbstverständlich als Kaufmann.«
»Wir haben uns verstanden.«
Johannes erhob sich, wünschte dem Kapitän viel Glück und verließ den Raum.
Während die Väter die Details der Hochzeit besprachen, besuchte Loukas Eirene, um ihr zu sagen, dass sie heiraten würden, sobald er aus Bursa zurückgekehrt sei. Bevor sie vor den Altar treten durften, mussten sie erst einmal Abschied voneinander nehmen.
»Da habe ich dich nun gesund gepflegt, nur damit du dich, noch nicht völlig genesen, wieder in Gefahr begibst!«
»Was soll einem Kaufmann schon widerfahren?«, sagte Loukas. Sein Lachen klang etwas zu laut.
»Bei allem, was du tust, denk daran, du führst mein Leben mit dir!« Er nahm ihre Hände, doch sie machte sich frei und wandte sich ab. Er sah, dass sie etwas unter ihrem Kleid hervorzog, eine kleine goldene Kette. Dann drehte sie sich zu ihm und zeigte ihm ein filigran gearbeitetes Kreuz. Sie band ihm das Kruzifix um den Hals. »Der Herrgott soll dich auf all deinen Wegen beschützen, Loukas Notaras!«
»Was ist das für ein Kreuz?«
»Es ist von meiner Mutter. Sie wird jetzt auch über dich im Himmel wachen.« Dann lächelten ihre feuchten Augen. »Mach es ihr nicht allzu schwer.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste seine Stirn, sog den Duft seines Haaransatzes ein und verließ dann eilig das Zimmer.
Loukas drängte es zum raschen Aufbruch, denn er wollte so bald wie möglich zurück sein. Die »Nike« hatte inzwischen den Hafen wieder angelaufen, allerdings ohne Jacques le Lame, an dessen Leichnam inzwischen die Seeaale und Meeräschen nagten. Loukas hatte sich bei den Juden, mit denen er Geschäfte machte, umgehört. Diese hatten ihm Jakub Alhambra, der Beziehungen zum Hof des Sultans unterhielt, als Gewährsmann empfohlen. Eudokimos suchte sechs Seeleute aus, die auch mit dem Schwert umzugehen verstanden. Sie sollten ihn und den Kapitän nach Bursa begleiten. Man wusste nie, welche Überraschungen der Weg bereithielt.
23
Kaiserpalast, Konstantinopel
Abendgeruch, würzig, beißend und süß wie von Frühlingsfeuern und Blüten, wehte ins Lesezimmer. Johannes hatte die Fenster offen gelassen, obwohl es abends noch empfindlich kühl wurde, und sich eine Lammwolljacke angezogen. Auf den Geruch des sich erneuernden Lebens wollte er nicht verzichten, da kam er ganz nach seiner Mutter.
Er hatte die Kerzen anzünden lassen und las im Kohelet, dem Buch des Weisheitslehrers, im vielleicht ketzerischsten aller biblischen Bücher. Leise sprach er die Worte, deren verführerischen Klang er so sehr liebte:
»Nichtigkeiten der Nichtigkeiten, sprach der Weisheitslehrer,
Nichtigkeit der Nichtigkeiten, alles ist Nichtigkeit.
Welchen Gewinn hat der Mensch
Mit all seinem Ermühten, mit dem er sich abmüht unter der Sonne?
Eine Generation geht und eine Generation kommt,
aber die Erde besteht für immer.
Und die Sonne geht auf und die Sonne geht unter
Und zieht zu ihrem Ort …«
Er ließ das Buch sinken und schloss die Augen. Wie so oft dachte er an seine erste Frau, an Anna. Sie war die Tochter des Großfürsten Wassili von Wladimir und Moskau. Wenige Tage vor ihrer Hochzeit hatte er sie zum ersten Mal gesehen, ein fünfzehnjähriges Mädchen mit schmalem Gesicht und großen Augen, deren Kindlichkeit aus dem strengen Gefängnis der Etikette ausbrach, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Dann lachten ihre Augen und ihre Gesichtszüge hellten sich auf, ja sogar ungestümer Schalk konnte aus ihren Pupillen blitzen.
Als Anna in Konstantinopel eintraf, konnte sie kein Wort Griechisch und war in allem eigentlich noch ein kleines Mädchen. Und Johannes? Er wollte ihr Zeit geben, nicht diese Unverdorbenheit, diese Leichtigkeit und Verspieltheit zerstören. Das Mädchen schenkte ihm die Möglichkeit, selbst kindlich und naiv sein zu dürfen, den Panzer des Prinzen abzulegen, weder auf der Hut zu sein noch sich unnahbar zu geben. Hinzu kam, dass er im Grunde seines Herzens vor dem eigentlichen, dem tierischen Akt, vor dem Austausch von Körperflüssigkeiten einen unüberwindbaren Ekel empfand.
So lebten sie
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