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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Gefährtin, ja seine »Schwester« vergewaltigt hatte. Sein Kopf dröhnte, und sein Herz schlug vor Scham. Am liebsten hätte er sich in ein Mauseloch verkrochen. Er benötigte eine Woche, um seine Scham zu überwinden. Nachdem er wie ein geprügelter Hund durch den Palast geschlichen war, rang er sich dazu durch, mit Anna zu reden. Er fürchtete sich davor, ihr unter die Augen zu treten, aber so konnte es nicht weitergehen.
    Doch die Ärzte verwehrten ihm den Zutritt, weil Anna an den schwarzen Pocken erkrankt war. Ein paar Tage später war sie tot. Man hatte ihm natürlich den Zutritt verwehrt, um seine Gesundheit vor Ansteckung zu schonen, doch er glaubte nicht daran, sondern daran, dass er Anna in dieser Nacht ermordet hatte und die Ärzte die Pocken nur erfunden hatten, um ihn vor sich und vor der Welt zu schützen.
    Die Erinnerung an diese Nacht war wie ein Spiegel in tausend Splitter zerbrochen und blieb trotz angestrengten Nachdenkens nur ein Aufblitzen von verwischten Bildern aus der Finsternis. Es waren aus dem Verband gelöste bunte Mosaiksteinchen, doch so vereinzelt und in geringer Anzahl, dass sie kein Bild ergaben. Er hatte Anna nicht geliebt, aber er hatte sie sehr gemocht, vielleicht sogar mehr, als man lieben konnte. Sie fehlte ihm. Und er fühlte sich schuldig. Er war ihr Mörder. So oder so. Wie immer, wenn er an sie dachte, stiegen ihm die Tränen hoch. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Augen und las weiter in dem Buch: »Es gibt keine Erinnerung an die Ersten. Auch an die zuletzt Gewesenen, es wird keine Erinnerung an sie geben bei denen, die am Ende sein werden.«
    Während Johannes über die Vergänglichkeit nachdachte, klopfte es an seiner Tür.
    »Ja«, sagte er wie nebenbei. In der Tür stand »das Walross«. Diesen Spitznamen trug sein alter Kammerdiener wegen seiner Bartsträhnen, die rechts und links an den Mundwinkeln vorbei herunterhingen. »Eure Majestät, Martina Laskarina lässt Euch ausrichten, dass Ihr zu Eurer Frau gehen sollt, heute ist der perfekte Zeitpunkt, einen neuen Kaiser zu zeugen. Eure Frau erwartet Euch!«
    Ihm wurde übel. Schon wollte er sich Wein bringen lassen oder dieses teuflische Getränk, das die Franken erfunden hatten, Cognac. Aber dann dachte er an Anna, die tot war, weil er sich damals aus Feigheit betrunken hatte. Er stand auf, straffte sich und schritt gefasst wie zu einer Hinrichtung zum Schlafgemach seiner Gattin. Auf dem langen Weg quer durch den ganzen Palast von einem Flügel zum anderen beschlich ihn das Gefühl zu schrumpfen. Dabei flüsterte er so leise, dass niemand ihn verstehen konnte – weder sein Kammerdiener, der hinter ihm ging, noch die Palastwachen, an denen er vorbeischlurfte: »Anna, pomogitje mnje, pomogitje, Anna, hilf mir, hilf!« Auf dem Gang zu ihrem Schlafgemach fühlte er sich plötzlich wie ein Märtyrer. Ein Märtyrer des ihm von Christus auferlegten Kaisertums. Mit diesem Gefühl betrat er Sophias Zimmer.
    Da lag sie vor ihm. Mitten auf ihrem Himmelbett mit den an den Pfosten zusammengebundenen rosafarbenen Vorhängen. Ihr Körper, eine einzige Masse schieren, ungestalten Fetts, die kleinen, lappenartigen Brüste, der von Wülsten umreifte Bauch, die wuchernde, alles verschlingende Vulva. Alles in Johannes zog sich zurück. Er taumelte aus dem Schlafgemach seiner Frau, wankte den Flur entlang, die Treppen hinunter, rannte quer durch den Park zur Kirche der Gottesgebärerin. Vor der Ikonostase warf er sich auf den Mosaikboden und bat die Muttergottes um Hilfe. Wie diese Hilfe allerdings aussehen sollte, davon besaß er nicht einmal den Schatten einer Vorstellung.
    Sophia von Montferrat beklagte sich bitterlich bei ihrer Schwiegermutter, der Kaiserin. Schließlich kam nur eine Möglichkeit infrage. Sie war nicht schön, aber notwendig.
    In der Nacht darauf besuchte eine der erfahrensten Hetären der Stadt Johannes und brachte das kleine Wunder zustande, dass sich sein Gemächt aufrichtete. Dann verband sie ihm die Augen. Sophia schlich ins Zimmer und begann den Mitkaiser zu reiten, kurz nur, dafür mit umso größerer Hoffnung, dass der hastige Akt für die Sicherung der Dynastie genügt hatte und keiner Wiederholung bedurfte.

24
    Belgrad, Serbien
    Fürst Alexios Angelos hob den Arm und zügelte sein Pferd. Die kleine Truppe hielt an. Vor ihm lag Belgrad, endlich. Sie hatten sich so unauffällig wie möglich durch türkisch beherrschtes Gebiet geschlagen. Zu seiner Bestürzung hatte der Fürst unterwegs

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