Byzanz
amüsierte Jakub, zumal ihn die geistigen und sprachlichen Fähigkeiten seiner Sprösslinge mit Stolz erfüllten, offenkundig beherrschten sie Hebräisch, Griechisch und Türkisch.
Loukas hatte noch nie über den Judenhass, der unter den Christen verbreitet war, nachgedacht. Sie sahen in ihnen die Mörder Jesu.
»Und dabei war Jesus doch auch ein Jude«, sagte Moische, Jakubs ältester Sohn.
Auch wenn Loukas keinen Zweifel an der Wahrheit des Christentums hegte, stieß ihm zum ersten Mal die Rechthaberei seiner Religion auf. Hatten sich nicht sogar die Christen untereinander aus lauter Besserwisserei zerstritten, gar nicht davon zu reden, wie sie über Juden und Muslime dachten? Er konnte die Frage nicht beantworten, ohne seine Religion als die einzig rechtmäßige darzustellen. Und darin lag das Problem – nicht nur deshalb, weil ihn die Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber zwang, dessen Konfession nicht herabzusetzen, sondern weil in der Rechtmäßigkeit des eigenen Glaubens die Unrechtmäßigkeit des anderen lag.
»Vielleicht hassen einige Christen die Juden, weil sie Jesus lieben und es in ihrer Liebe den Juden verübeln, dass sie Jesu kreuzigen ließen«, versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen.
Jakubs Sohn Moische lächelte ironisch. In seine Augen trat ein sanfter Spott. »Was wäre für die Christen ein ungekreuzigter Jesus? Ein Jesus, der bis ins hohe Alter predigend durch Judäa und Galiläa gezogen wäre? Gehörte nicht die Kreuzigung zum Heilsplan eures Gottes? Sagte Jesus nicht: ›Und das geschieht, damit erfüllt wird, was geschrieben steht‹? Wie könnt ihr den Juden vorwerfen, dass sie lediglich taten, was von ihnen erwartet wurde? Hätten die Hohepriester die Kreuzigung verhindert, würde nicht dann erst euer Vorwurf, wenn auch nicht euer Hass zu Recht bestehen?«
Loukas blies die Backen auf. Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Jakub, der interessiert der Diskussion gefolgt war, klatschte anmutig in die Hände. Aber das Wort Klatschen war viel zu grob für die anmutige Bewegung, denn er legte seine Hände fließend ineinander, um sie gleich darauf wieder zu trennen, so wie Reiher landen und sich wieder in die Lüfte erheben. Dabei lachten seine Augen. Und Loukas war ihm dankbar, dass er ihn aus der Verlegenheit befreite.
»Genug, Kinder, genug. Gönnt unserem Gast auch etwas Ruhe und Entspannung. Lasst uns noch ein Lied für Herrn Loukas singen, dann geht ihr aber ins Bett.«
Alle klopften auf den Tisch und bewegten rhythmisch ihre Oberkörper, bevor der Gesang aus ihren Mündern erscholl. Es war wie ein Fließen, ein Eintauchen in die Ewigkeit, und Loukas, der Christ, wurde von dem alten Psalm mitgenommen auf eine Reise in die wirkliche Heimat des Menschen, in die Stadt aller Menschen und aller Völker – ins himmlische Jerusalem. Sie sangen im Wechselgesang, wobei der fünfzehnjährige Moische mit glasklarem Tenor, der noch zwischen jungenhaftem Charme und männlicher Festigkeit schwankte, im Wechselgesang mit Deborah und den anderen Kindern wetteiferte. Nur Jakub schwieg und lauschte und sah seiner Familie zu mit einer Seligkeit im Blick, um die ihn Loukas beneidete. Sie sangen auf Hebräisch, das er nicht verstand, aber dennoch begriff er, worum es ging, ja, und er erkannte den Psalm sogar, den er auf Griechisch zu rezitieren gewusst hätte. Jakubs Kinder standen auf und begannen zu tanzen, während sie das Lied sangen.
»Ich freute mich über die, die mir sagten:
Zum Hause des Herrn wollen wir gehen!
Unsere Füße standen
in deinen Vorhöfen, Jeruschalajim.
Jeruschalajim ist erbaut wie eine Stadt,
an der alle miteinander Anteil haben.
Denn dort zogen Stämme hinauf,
die Stämme des Herrn als Zeugnis für Israel,
um den Namen des Herrn zu preisen,
weil dort Throne zum Gericht standen,
Throne auf dem Haus Davids.
Bitte doch für das, was Jeruschalajim Frieden bringt,
und Wohlgehen werde denen zuteil, die dich lieben!«
Und Loukas dachte daran, dass sie alle, Lateiner, Griechen und Rhomäer, alle Christen sich in einer Sehnsucht einig waren, im Traum vom himmlischen Jerusalem, in dem alle Drangsale dereinst enden würden.
»Friede werde doch durch deine Macht
und Wohlergehen in deinen Turmfestungen.
Um meiner Geschwister willen und meiner Nächsten
Sprach ich nun vom Frieden bei dir.
Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes, willen
Suchte ich eifrig Gutes für dich.«
Nachdem der letzte Ton verklungen war, klopfte Deborah auf den Tisch, und die Kinder
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