Byzanz
und leise, um sich nicht zu verraten, begann er, seine Fessel durchzuschneiden. Durch das Fenster gegenüber der Tür schien der Vollmond als kalte, satte Scheibe, fern und unnahbar. Aus der Ferne wehte das Geheul der Wölfe zu ihm.
Zwei Wachablösungen vergingen, bis er endlich die Schnüre zersägt hatte. Dann half er dem Mann, mit dem er gefesselt war, sich zu befreien. Auf sein Zeichen fielen sie ihre beiden Bewacher an. Während Alexios dem einen mit der stumpfen Klinge die Kehle aufriss, schlug sein Gefolgsmann den Kopf des anderen gegen die Scheunenwand, zog dabei dessen Säbel aus der Schärpe und erschlug ihn. In diesem Moment wurde das Tor geöffnet und die Wachablösung trat ahnungslos ein. Alexios packte den Säbel eines der toten Wächter, doch sein Gefolgsmann rief ihm zu: »Flieht, Herr, flieht!« Alexios machte kehrt und sprang durch das Fensterloch gegenüber dem Tor, während sein Gefolgsmann tüchtig austeilte und die Türken, die mit lautem Geschrei um Verstärkung riefen, in Schach hielt.
Dem Flüchtenden fiel ein hoher Baum auf. Sein Instinkt trieb ihn dazu, in den dichten Wipfel der mächtigen Kastanie zu klettern. Von hier aus ließen sich sowohl die Scheune als auch das Dorf beobachten. Mit Fackeln in der Hand, zu Fuß und auch zu Pferde schwärmten die Türken aus. Es stellte sich als kluge Entscheidung heraus, sich im Baum zu verstecken. Er hätte kaum eine Chance gehabt, den Häschern im Wald zu entkommen. Die Nacht war sternenklar und mondhell, und ihn verfolgten zahlreiche Türken. Viele Hunde sind des Hasen Tod, dachte Alexios.
Jetzt half nur noch beten, dass sie ihn auf dem Baum nicht entdeckten. Mit etwas Glück würden sie mit dieser Dreistigkeit, dass er nicht das Weite, sondern ein Versteck in der Nähe bezogen hatte, nicht rechnen.
Der Sandschakbey fluchte und gab unablässig Befehle, die der Fürst aber nicht verstand. Stunden später, Alexios schloss aus dem Stand der Sonne, dass es Mittag war, kehrten die letzten Türken ins Dorf zurück. Der Flüchtende blieb unauffindbar, wie vom Erdboden verschluckt. Der türkische Kommandeur ließ rot vor Zorn im Gesicht die Gefangenen aus der Scheune zerren und auf dem Dorfplatz enthaupten, denn ohne den Fürsten besaßen sie für ihn keinen Wert, mehr noch, stellten sie sogar einen unerwünschten Beweis für seinen Misserfolg dar. Außerdem gab er die Hoffnung nicht auf, dennoch des Fürsten habhaft zu werden, und da wollte er sich nicht mit der Bewachung dieser Männer belasten. Er schickte Patrouillen los und setzte ein Kopfgeld aus. Die Bauern ließ er durch seine Boten wissen, dass sie bei Strafe des Verkaufs in die Sklaverei und des Niederbrennens des Dorfes dem Flüchtenden weder Unterkunft noch Verpflegung gewähren durften. Sie hatten ihn entweder festzusetzen oder zumindest dem Sandschakbey Mitteilung zu machen.
Die Türken räumten das Dorf. Zurück blieben auf dem Anger nur die Leichen der zwölf Gefolgsleute und die Wut im Bauch des Fürsten. Sein Zorn befeuerte ein Schuldgefühl, das tief in seinem Herzen glomm. Er hatte sie im Stich gelassen. Hätte er sie nicht befreien und mit ihnen gemeinsam kämpfen müssen? Aber dann wären sie alle im Kampf gefallen – auch er. Und was würde dann aus seiner Mission werden? Er mochte Gründe suchen und finden, nicht einer entlastete ihn. Natürlich hatte er seine Leute verraten, aber der Verrat gehörte zur Macht wie das Gift zur Viper.
Die Dorfbewohner hoben auf dem Friedhof ein großes Grab aus. Was sollten sie auch weiter tun? Sie warfen die Köpfe und Leiber seiner Leute hinein. Bevor sie das Grab zuschütteten, beteten sie für die Ermordeten ein gutes christliches Gebet. Und im Wipfel des Baumes richtete Alexios stumm für jeden einzelnen seiner Leute eine Fürbitte an den Herrn.
»Kyrios, sei ihnen gnädig, es waren gute Männer, nimm Andreas zu dir, und auch Ignatios, Demetrios, den kleinen und den großen Nikolaos, Sokrates, Philippos, Markos, Michalis, Georgios und Sebastiano, den kleinen Venezianer, der uns so oft mit seinen Geschichten und seinen Späßen unterhalten hat, wenn wir unterwegs waren. Sie alle hatten Besseres verdient, als von einem Türkenschwert enthauptet zu werden. Sie hatten verdient, ein hohes Alter zu erreichen oder im Kampf zu sterben – und nicht gefesselt und wehrlos niedergemetzelt zu werden! Oh Herr, ich bitte dich, gib ihnen Frieden, nimm sie zu dir, es waren gute Männer, ich verbürge mich für sie, und verzeih mir, deinem demütigen
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