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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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er in der Zeit, von der er später nicht einmal sagen konnte, wie lange sie gedauert hatte, gedacht, gefühlt, getan hatte, daran vermochte er sich nicht mehr zu erinnern. Er versuchte es auch gar nicht. In einem Wald hatte er sich verirrt, aus dem Wald hatte er schließlich wieder herausgefunden. Alles, was im Forst geschehen war, blieb besser auch zwischen den Bäumen versteckt.
    Schließlich wurde die Landschaft flacher und steppenhafter. Der Fürst war wohl seit mehr als einem halben Monat unterwegs, als er es endlich wagte, eine kleine Stadt zu betreten. Die Leute betrachteten ihn wie einen Aussätzigen. Er verübelte ihnen weder die Zurückhaltung noch die Feindseligkeit; denn er wusste, dass die Bewohner der unruhigen Grenzregion aus bitteren Erfahrungen gelernt hatten, vor Fremden auf der Hut zu sein, denn wie leicht konnte sich hinter jedem Unbekannten ein Späher der Renner und Brenner verbergen.
    Den Namen der Stadt empfand er als Zungenbrecher: Nagybecskerek. Das unaussprechliche Wort verriet ihm zumindest, dass er sich in Ungarn befand. Er begab sich zu dem Verwalter König Sigismunds, setzte ihn knapp in Kenntnis darüber, wer er war, und bat den Mann um ein Pferd und einen Führer, damit er so schnell wie möglich nach Ofen, das die Ungarn Buda nannten, gelangen würde.
    Zwei Tage später verneigte sich Alexios vor der ungarischen Königin Barbara, die dem berühmten Grafengeschlecht der Cillier entstammte. Aus stahlblauen Augen musterte sie ihn kühl und schamlos, allerdings auch mit jenem amüsierten Desinteresse, mit dem man einen Käfer betrachtet. Das blonde Haar der Königin sprengte fast das Haarnetz, das es eigentlich bändigen sollte. Ihre Sinnlichkeit und ihr Herrscherwille provozierten ihn so sehr, dass in ihm die Lust aufstieg, sie zu demütigen.
    »Euer Aufzug, Fürst, passt nicht zu Eurem Rang«, tadelte sie ihn auf Latein.
    »Oh, Majestät, verzeiht, dass ich nach Gefangennahme durch die Türken und Flucht, nach einer Rangelei mit einem Bären und dem Kampf mit meinen muslimischen Verfolgern meine Kleidung nicht in einem besseren Zustand zu halten vermochte«, hielt Alexios lateinisch dagegen.
    »Dann seid Ihr also ein Held?«
    War es Bewunderung oder Spott? Alexios blieb unsicher. »Wisst, dass mir am Heldentum nichts liegt, denn ich reise im Auftrag des Mitkaisers Johannes. Heldentum ist nichts Besonderes, kein Fürst darf feige sein.«
    »Aha, gut, dann wissen wir das jetzt auch. Ich fürchte, ich kann noch viel von Euch lernen, mein Herr Bären- und Türkenbändiger. Aber vorher ruht Euch eine Weile aus, erfrischt und befreit Euch von den Lumpen, die Ihr tragt. Ich lasse Euch neue Gewänder bringen. Mein Kammerdiener wird sich um Euch kümmern und Eure Wünsche erfüllen. Wenn es recht ist, sehen wir uns zum Nachtmahl.«
    »Herrin, ich muss mit dem König reden.«
    »Ach, das tut mir aber leid! Der König ist, der König ist, ja, wo ist er noch gleich?«
    Sie schaute ihn mit großen, fragenden Augen an, in deren Winkeln die Spur eines Lächelns aufschien, bevor sie in große Bestürzung fielen. So verharrte sie eine Weile. Schließlich tippte sie sich mit ihrem kräftigen Mittelfinger dreimal an die Stirn, als ob ihr gerade eine Idee gekommen wäre, und ein Lächeln entspannte ihre Lippen. »Ja, richtig, jetzt erinnere ich mich, er ist im Krieg gegen diese Häretiker in Böhmen. Unerfreuliche Geschichte. Vor sechs Jahren musste mein Mann ja unbedingt diesen armen Ketzer in unserer schönen Stadt Konstanz verbrennen lassen. Hätte es nicht auch ein böhmisches Kuhdorf getan? Ausgerechnet in unserer schönen Stadt Konstanz! Einen Böhmen aus Prag, Jan Hus mit Namen. Und nun schreien seine Anhänger Zeter und Mordio und wollen seine Ketzerei zum Glauben in unserem Land Böhmen erheben.« Sie lachte laut auf. »Denkt Euch, wegen der Frage, ob nur der Priester oder auch jeder andere Christ den Kelch zum Abendmahl in der Messe reichen darf, hauen die guten Leute sich die Köpfe ein! Ein guter Rat, Fürst: Wenn Ihr etwas in Eurer Angelegenheit erreichen wollt, redet mit mir. Der König ist im Krieg, auf einem Konzil, auf einem Reichstag oder im Bett mit einer vulgären Dirne, nur in Ungarn ist er nicht. Hier herrsche ich!«, sagte sie mit harter Stimme. Dann fügte sie mit sanftem Lächeln, aber kaltem Blick hinzu: »In seinem Auftrag natürlich.«
    Damit verließ sie den Audienzsaal und zog sich in die Tiefe der Burg zurück. Ihre Worte hallten in Alexios’ Ohren wider und hielten doch

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