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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Herzensgebet.«
    »Was ist das für ein Ding, das ihr Herzensgebet nennt?«
    »Es ist das Gebet, das man nur mit dem Herzen ohne Worte betet.«
    »Wir nennen es dikhr , das Gottesgedenken. Wenn ich ihn schaue, weiß ich, dass ich nicht mehr bin, weil er alles ist und ich in ihm aufgehe wie der Tropfen im Meer. Das ist tauhid , die Erkenntnis, dass Gott einer ist. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung, bei Gott zu sein. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, muss ich die Erfahrung des Schwarzen Lichts machen, wir nennen es fana . Von dieser Erfahrung der Auslöschung werde ich Gott im Schwarzen Licht sehen können und das Grüne Wasser des Lebens finden. Wenn es mir glückt …« Murad sah sehr traurig aus, wie jemand, den eine tiefe, unerfüllte Sehnsucht quälte. »Aber so weit habe ich es noch nicht geschafft. Meint Ihr, dass es viele Wege zu ihm gibt, euren Weg, den Weg der Juden, den Weg der Schiiten, unseren Weg – und dass sie alle gleichberechtigt sind? Ibn Arabi sagt:
    ›Mein Herz hat angenommen jegliche Gestalt:
    für die Gazellen Weideplatz, für Mönche Kloster,
    den Götzen Tempelbau, dem Pilgerkreis die Kaaba,
    Schrifttafeln für die Thora, Seiten dem Koran:
    Mein Glaube ist die Liebe: wo die Karawane
    Auch hinziehn mag, ist Liebe meine Religion.‹«
    Der Prinz hatte das Gedicht auf Arabisch gesprochen und übersetzte es dann für Loukas in griechische Prosa.
    »Ich weiß es nicht, mein Prinz«, sagte Loukas. »Ich bin kein Priester.«
    »Braucht Ihr dafür etwa Priester? Spricht Gott nicht zu Euch, zu Eurem Verstand, zu Eurem Herzen? Ich habe gehört, dass bei euch ein geheimes Buch existiert, in dem vierundzwanzig Philosophen sagen, was Gott ist. Und einer meint, Gott sei die Finsternis in der Seele, die zurückbleibe nach all dem Licht. Das erinnert mich an fana .« Loukas hörte dem Prinzen zu, aber er verstand ihn nicht. Er benutzte zwar griechische Wörter, redete aber in einer anderen Sprache. Jedes einzelne Wort erkannte Loukas in des Prinzen perfekter Aussprache, nicht aber den Satz, nicht die Beziehung zum nächsten Wort.
    »Wie kann denn Licht schwarz sein?«, fragte er deshalb.
    »Schau direkt in die Sonne, lange, und das Licht wird in deinem Kopf explodieren und schwarz sein. Denk dir nun, dieses Licht sei Gott. Es gibt bei euch auch Leute, die von der überhellen Nacht sprechen.«
    »Dann werdet doch Christ!«, rief Loukas mehr aus Ratlosigkeit, als dass er ernsthaft den Muslim zu bekehren versuchte.
    Der Prinz seufzte, blieb aber höflich genug, nichts darauf zu erwidern, denn er empfand Enttäuschung über die platte Antwort des Kapitäns.
    »Ich werde Euren Männern und Euch eine Unterkunft in einem kleinen Palast zuweisen. Geht Euren Handelsinteressen nach. Ich wünsche keine Unruhe. Haltet Euch daran. Seid heute Abend mein Gast. Halil holt Euch ab.« Der Prinz zog sich in das Innere der Medrese zurück.
    »Täuscht Euch nicht: Mit der Entschlossenheit, mit der Murad Gott sucht, wird er auch eines Tages herrschen«, warnte Halil Pascha, als er die Verwunderung auf des Kapitäns Gesicht wahrnahm.
    Loukas erwartete, einen bleiernen Abend mit Gesprächen über Gott vor sich zu haben, sah sich jedoch zu seiner Erleichterung darin gründlich getäuscht. Er saß mit dem Prinzen und Halil in einem Pavillon aus Kastanienschnitzereien, den Lampions erhellten, mitten in einem Garten voller aufregender Wasserspiele, Rosen in allen erdenklichen Farben und Oleander. Sie aßen und tranken und sogen den Duft wilder Minze ein. Während Halil wie Loukas dem Wein zusprach, beließ es Murad beim Tee. Musiker spielten auf und glutäugige Frauen tanzten dazu die verführerischsten Bauchtänze. Die Klänge der Zimbeln, Geigen und Flöten entriegelten leicht wie Diebe die Sinne. Loukas verliebte sich in den Anblick der fließenden Bewegungen, des Spiels der Muskeln der makellosen Körper, die von den leichten Schleiern nur unzureichend verborgen wurden, und sehnte sich nach Eirene. Nach leichtem Rotwein schmeckte die Nacht. Die heitere Frivolität der Stimmung setzte ihm stärker zu, als ihm lieb war. In einem Rosenbusch klagte eine Nachtigall ihre unstillbare Sehnsucht.
    »›Erblüht ist die Rose und die Nachtigall ist trunken …‹, sagt Hafis, der Dichter«, bemerkte Murad, und seine schmalen Lippen kräuselten sich. Dann fügte er hinzu:
    »Der Rang der Liebe
    ist ohne Leid nicht zu erwerben:
    Erfüllung wurde mit Prüfung
    von Anfang an verbunden,
    Herz, hadere nicht um Vorteil und Verlust,
    denn

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