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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Religion auszudehnen – besaß für Konstantinopel eine existentielle Bedeutung. Hinzu kam, dass Murad den Islam nur unter der Herrschaft der Osmanen denken konnte. Die Araber teilten zwar mit den Türken den Glauben, aber aus Sicht des Prinzen hatten sie ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren inzwischen dekadent, und ihre Reiche zerfielen ja auch. So blieb es für Loukas undeutlich, in welche Richtung Murad das Reich der Osmanen auszudehnen plante: auf Kosten der Araber nach Süden und Osten oder auf Kosten der Rhomäer und Lateiner nach Westen und Norden. Nur eines begriff er: dass der Handel eine Brücke der Interessen zimmern konnte, die verlässlich und tragfähig war.
    Mit einem zwiespältigen Gefühl gab Loukas am Morgen seinem Pferd die Sporen, um endlich heimzukehren. Würde man sich mit einem Sultan Murad einigen können? Er fand keine Antwort auf diese Frage. Er wusste nicht, welchen Weg dieser junge, gebildete, kluge und auch gottsuchende Prinz als Sultan eines Tages einschlagen würde. Wäre sein jüngerer Bruder Mustafa für das Byzantinische Reich nicht der bessere Sultan? Loukas hatte sich von beiden Thronanwärtern ein Bild gemacht, aber deshalb konnte er sie längst noch nicht einschätzen. Langsam begann er zu ahnen, wie schwierig und wie verworren sich die Situation für Konstantinopel, für das alte Reich der Rhomäer darstellte. Junge Mächte wie die Osmanen drangen aus dem tiefsten Asien, um zu einer Weltmacht aufzusteigen, die Lateiner, ewig untereinander zerstritten, kämpften angriffslustig, vital und skrupellos um Macht und Reichtum. Ein Gespräch, das er mit Murad während der letzten Tage geführt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es war eigentlich nicht das Gespräch selbst, in dem es um Murads Interesse an abendländischen Wissenschaften gegangen war, sondern nur ein paar scheinbar nebenbei gesagte Sätze. »Glaubt Ihr, dass der König der Franken tatsächlich dem Kaiser der Römer helfen würde, wenn er sich mit uns im Krieg befindet und die Franken ihre Herrschaft auf Kosten des geschwächten Deutschen über Deutschland und Österreich ausdehnen könnten?«, hatte Murad gefragt. »Glaubt ihr wirklich, dass die Genuesen euch helfen, wenn die Alternative darin bestünde, einen großen Handelsvorsprung vor Venedig zu erringen? Die wahre Religion der Christen ist der Egoismus. Darin besteht die Stärke und die Schwäche eurer lateinischen Bundesgenossen, im hemmungslosen Egoismus, der vor keinem Verrat haltmacht. Wären wir sonst so gut informiert?«
    Um Konstantinopel stand es nicht besser, dachte Loukas grimmig. Alexios Angelos wollte sich auf Gedeih und Verderb mit den Lateinern verbünden. Welchen Vorteil erhoffte er für sich persönlich aus dem Bündnis zu ziehen? Loukas konnte nicht glauben, dass der Fürst vollkommen uneigennützig handelte. An die vielen Kostgänger bei Hof, die logen und betrogen und dabei noch schöntaten, mochte er erst gar nicht denken, die für ihren Vorteil alles, woran sie zu glauben vorgaben, und alle Menschen, für die sie einzutreten vorgaben, verrieten und diesen Verrat Politik nannten. Hyänen in Samt und Seide.
    Auf dem Rückweg kamen sie durch ein Hirtendorf, in dem in einfachen Holzhütten zu seinem Erstaunen Christen lebten. Nestorianer – Ketzer also. Dennoch interessierte es Loukas, wie es sich als Christ unter den Osmanen lebte. Die Dorfbewohner waren scheu und verschanzten sich hinter einer Mauer aus Misstrauen. Wussten sie, wer der Kapitän Loukas Notaras in Wirklichkeit war und was er im Schilde führte? Sie hatten nur erfahren, dass sie für ihre Vorstellung, an Christus zu glauben, von den Griechen und den Lateinern mit dem Bann und dem Feuer zu rechnen hatten. Und das nur, weil sie es für eine Sünde hielten, die Jungfrau Maria Gottesgebärerin – theotokos  – zu nennen und nicht christokos  – Christusgebärerin.
    So viel zumindest bekam Loukas heraus, dass die Hirten so lange unbehelligt und in Freiheit lebten, solange sie pünktlich die Kopfsteuer für die giaur , wie man die Ungläubigen im Reich der Osmanen nannte, entrichteten. Die Türken ließen sie in Ruhe – vor Loukas, vor den Lateinern und vor den Griechen fürchteten sie sich. Er beschloss, gleich nach seiner Rückkehr Basilius nach den Nestorianern zu fragen und auch danach, warum Christen vor Christen mehr Angst hatten als vor den Muslimen.

31
    Jagdschloss der ungarischen Königin, Karpaten
    Das Weib ritt der Teufel. Obwohl Alexios ein Gutteil seines Lebens

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