Byzanz
türkischen Bewaffneten kein Passant, kein Schaulustiger auf dem Torplatz befand. Das konnte Loukas nur als schlechtes Omen werten.
»Prinz Murad erwartet Euch, Herr Kapitän«, sagte der Türke mit ausgesuchter Freundlichkeit in passablem Griechisch. Ohne Janitscharen und Bogenschützen hätte man nach dem Klang seiner Stimme die Aufforderung für eine freundliche Einladung zum Tee halten können.
Der Kapitän beschloss, auf den Ton einzugehen. »Wer seid Ihr, Herr?«
Der Türke lächelte. »Halil Pascha, der Berater des Prinzen.«
»Das trifft sich. Ich wollte mich ohnehin um eine Audienz bei Prinz Murad bemühen. Aber das wisst Ihr vermutlich.« Loukas konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen.
Statt zu antworten, breitete der Pascha nur seine Hände aus. »Allah sei gepriesen.«
Nachdem die Griechen sich ihrer Waffen entledigt hatten, wurden sie von den türkischen Soldaten durchsucht. Anschließend nahmen die Janitscharen die Byzantiner in ihre Mitte und folgten dem Pascha. Mit ihren hohen weißen Hüten, die auf halber Höhe zum Nacken hin abknickten, den bunten Gewändern, dem fröhlichen Gesichtsausdruck, dem die funkelnden Augen und die rechts und links vom Mund herabhängenden Bartenden des schmalen Schnauzers noch eine wilde Verwegenheit verliehen, sahen sie prächtig aus. Ihr kraftstrotzender Gang, das Posieren mit ihren Körpern verstärkte den Eindruck nobler Tiere.
Loukas achtete genau auf den Weg, den sie nahmen, um sich Verlauf und Besonderheiten wie Brücken oder Sackgassen einzuprägen. Die Häuser mit ihrem Vorbau im ersten Stock wirkten gemütlich, einladend, reinlich. Die geweißten Wände unterbrachen schwarze Fachwerkbalken. Die Stadt drängte sich rechts und links des Flusses – Iris, wie ihn die Griechen, oder Yesilirmak, wie ihn aufgrund seiner grünen Farbe die Türken nannten – an die schroffen Berge des Pontischen Gebirges. In den Felswänden machte Loukas zu seiner Verwunderung Türen und Fenster aus, die Baumeister in den Stein gehauen hatten. Allerdings führte kein Weg zu diesen geheimnisvollen Wohnungen im Berg, die neben-, aber auch übereinanderlagen, sodass man sie nur kletternd zu erreichen vermochte. Er beschloss, sich danach zu erkundigen, vorausgesetzt, dass er dazu noch Gelegenheit hätte.
Es erleichterte ihn, endlich Einwohner zu sehen. Die Plätze und Straßen der Stadt bevölkerten Türken, Armenier, Juden und Perser, wie man an ihrer Kleidung, an den Togen, Tuniken, Kaftanen, Schärpen, Wämsen, Kappen oder Turbanen erkennen konnte. Die eskortierten Byzantiner erweckten sofort die Neugier der Passanten. Loukas hatte das Gefühl, von allen schamlos begafft zu werden. Einige erkundigten sich bei den Soldaten über die Fremden. Er verstand kein Türkisch und wusste deshalb nicht, was die Wachen antworteten. Da sie aber recht einsilbig blieben, dürfte es nicht allzu viel gewesen sein.
Bald schon erreichten sie einen kastellartigen Gebäudekomplex. Halil Pascha bat Loukas, ihn in das Haus zu begleiten, seine Männer würden mit den Janitscharen hier draußen warten. Der Kapitän empfand die Ungewissheit als bedrohlich, aber er besaß keine Wahl. Ihn in dieser Situation um etwas zu bitten, wo er nicht in der Lage war, die Bitte auszuschlagen, konnte nur höflich oder zynisch gemeint sein. Noch wusste er nicht, was er davon halten sollte. Anderseits hätten sie ihm auch, falls sie vorhatten, ihn zu töten, auf dem Gebirgsweg ein paar Meilen vor der Stadt auflauern können. Seine Gedanken drehten sich im Kreise!
Während sie durch eine hohe Tür in einen angenehm schattigen und hohen Flur traten, der mit türkisfarbenen Fliesen verziert war, erklärte ihm der Berater des Prinzen: »Mein Herr liebt diese Medrese.«
»Medrese?«
»Eine Koranschule. Murad kommt oft hierher, um sich mit den Rechtsgelehrten und Theologen zu besprechen.«
»Wo sind die Schüler?«
»Wo schon? Im Unterricht«, sagte der Pascha und führte Loukas über einen Gang in einen kleinen Innenhof.
In einer hohen Loggia saß ein junger Mann, der eine weiße Tunika über weiten weißen Hosen trug, im Schneidersitz auf einem Kissen. Neben ihm stand ein achteckiges Tischchen mit drei Teeschalen, einer Teekanne und einer Schüssel mit Obst, Melonen, Weintrauben, Granatäpfeln und Orangen. Murad erhob sich und kam ihnen mit einem offenen Lächeln auf halbem Weg entgegen. Der Jüngling duftete nach Lavendel und Hyazinthen. Von schlanker Statur, erreichte er die Größe des Griechen.
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