Byzanz
schließlich ist es doch das Nichts,
das uns am Ende jeden Wegs erwartet!«
Dann begann er, von seinen Vorfahren zu erzählen, die zweihundert Jahre zuvor aus dem Inneren Asiens aufgebrochen waren, um die Welt zu beherrschen. Und Gott meinte es offensichtlich gut mit ihnen, ja, begünstigte sie sogar. Sprach nicht die Tatsache des Erfolges für den Islam?
»Osman, unser Ahn, führte einen kleinen Stamm, aber als er starb, hinterließ er seinem Sohn bereits ein Fürstentum. Wisst Ihr, seit wann wir zu Macht und Ansehen gekommen sind? Seitdem wir auf den Freund Gottes, den Propheten Muhammad, hörten. Ohne den Islam gäbe es uns heute wohl schon nicht mehr. Wie kann also dieser Weg der falsche sein?«
»Unsere Priester sagen, ihr seid Gottes Strafe für unsere Sünden, er benutzt euch, um uns zu züchtigen.«
»Edirne, die Stadt, die ihr Adrianopel nennt, das ganze schöne Rumelien kannten wir nicht – und doch gehört es uns heute. Wer zeigte uns denn die Stadt und das Land? Wer regte denn unseren Appetit an? Ihr selbst wart es, kein anderer. Euer Kaiser und Gegenkaiser bettelten um unsere Hilfe. Wir gewährten sie, standen den Kaisern gegeneinander, aber auch gegen eure Christenbrüder, gegen Serben und Bulgaren bei. Wer eine schöne Frau hat und sie einem Fremden zeigt, ist selbst schuld, wenn er betrogen wird. Wer so mit Blindheit geschlagen ist, wie soll der die richtige Lehre erkennen? Wie soll derjenige, der so viele Fehler begeht, ausgerechnet in der Wahl seines Glaubens fehlerfrei sein?«, fragte der Prinz mit einem liebenswürdigen Lächeln. Loukas fiel auf, dass Murads Stimme ohne Eifer war und er leicht und spielerisch in seiner Beweisführung vorging, sodass er die logische Schlussfolgerung häufig im Tonfall nicht von Versen zu unterscheiden vermochte.
»Ihr sprecht von der Vernunft, doch der Glaube geht über alle Vernunft, denn er liegt in Gott begründet und Gottes Wesen ist unerforschlich. Oder irre ich mich da?«
Murad lächelte. Die Antwort gefiel ihm, auch wenn sie eher geschickt als tiefsinnig war. Mit einer Handbewegung wechselte er das Thema.
»Mit Gott kommen wir jetzt nicht weiter. Erzählt von Eurer Familie.«
Der Kapitän stutzte, dann begann er, von seinen Eltern und seinem Bruder zu sprechen. Nur Eirene, eingedenk der Worte Murads, erwähnte er nicht. Seine Liebe ging Fremde nichts an. Anfangs verwunderte es Loukas, mit wie viel Anteilnahme der Osmane zuhörte, wie genau er nachfragte. Beharrlich und detailversessen erkundigte er sich nach ihrem Alltag, wie sie zum Beispiel die Geburtstage feierten, die religiösen Feiertage, wie sie Ostern und Weihnachten begingen und tausenderlei mehr.
Später erfuhr Loukas von Halil, dass Murad nur die Zeit bis zu seinem siebenten Lebensjahr im Harem bei seiner Mutter in Edirne verbracht hattte. Anschließend war er mit ihm als Erzieher zum Verwalter von Amasia bestellt worden, um das Handwerk des Regierens zu erlernen.
Loukas, der nach den Häusern, die man in die Felsen gehauen hatte, fragte, erfuhr, dass die alten Könige, die hier vor tausend Jahren geherrscht hatten, nach ihrem Tod von der Polis im Tal in die Nekropolis im Berg umgezogen waren.
»Mag Herrschaft auch noch so stark erscheinen, sie vergeht doch eines Tages, wenn sie nicht Gott dient, sondern nur ein Spiel der Menschengier ist«, resümierte der Prinz.
Der Mond hing müde als Sichel am schwarzen Himmel. Die Sterne funkelten wie Diamanten kalt und hell und bläulich, als der Prinz sich von Loukas verabschiedete. Das höflich vorgetragene Angebot, eines der Mädchen zum Zeitvertreib mitzunehmen, lehnte Loukas freundlich ab. Er wollte seine Ehe nicht mit einer Lüge beginnen.
Über fünf Tage erstreckten sich die Gespräche mit dem Prinzen und mit Halil Pascha. Der einflussreiche Hofmeister erbot sich, im Osmanischen Reich, besonders in der pontischen Region bis hin nach Persien und Indien, die Wege für die Geschäfte von Jakub und Loukas zu ebnen, an denen er dafür kräftig mitzuverdienen gedachte. Es blieb Loukas erspart, noch einmal mit dem Prinzen über Gott zu reden. Dennoch ahnte er, dass es wichtig sein könnte, dieses Gespräch mit dem Mann weiterzuführen, der aller Voraussicht nach der nächste Herrscher der Türken sein würde. Der Widerspruch im Denken Murads – auf der einen Seite mit den Byzantinern in Frieden leben zu wollen und es andererseits als geradezu von Gott gestellte Aufgabe des Hauses Osman anzusehen, die Herrschaft des Islam als einzig wahre
Weitere Kostenlose Bücher