BZRK Reloaded (German Edition)
jemand, und ich bin der Lakai.«
»Keats, fang nicht damit an, okay?«
»Deshalb konntest du mit denen so reden. Mit diesem Tonfall, der sagt: Ich kriege, was ich will. Leute aus deiner Schicht werden mit diesem Tonfall geboren.«
Sie blieb stehen, und nach ein paar Schritten blieb auch er stehen. »Hör mal, Keats. Ich hab da echt keinen Bock drauf. Ich will mich nicht vor dir rechtfertigen müssen. Ich habe mehr als genug andere Sorgen.«
»Ja, genau, deine Groschen anzusparen, damit du ein Mädchen ins Kino einladen kannst, gehört bestimmt nicht dazu.«
Er wirkte tatsächlich wütend, und das wiederum verärgerte Plath. »Hey, ich bin nicht dafür verantwortlich, dass du arm bist. Oder zur Arbeiterklasse gehörst. Oder wie auch immer du das nennst.«
»Das habe ich auch nicht behauptet«, brummte er. »Wir sollten weitergehen. Caligula beobachtet uns bestimmt. Von irgendwo.«
»Mir egal, was er sieht«, blaffte sie. »Er hat Ophelia getötet.«
Schweigend gingen sie einen Häuserblock weiter. Dann sagte er: »Wir könnten einfach abhauen, Sadie. Wenn es dir nichts ausmacht, mit einem Lakaien zusammen zu sein, könnten wir einfach gehen. Einfach fort. In ein Flugzeug steigen nach … nach … Afrika.«
Erst erwiderte sie nichts. Sie wichen Straßenhändlern aus, die billige Imitate von Designerhandtaschen verkauften. Und Händlern, die billige Imitate von Designeruhren feilboten. Und Touristen, die welche kauften.
»Costa Rica«, sagte Plath schließlich. »Die Pazifikküste. Ich könnte Surfen lernen.«
Jetzt war er es, der in grüblerisches Schweigen verfiel.
»Oder Afrika«, sagte sie. »Jetzt sag ihn mir.«
»Was?«
»Deinen Namen.«
»Noah.«
»Nö? Warum nicht, glaubst du, dass das wirklich eine Rolle spielt?«, fauchte sie.
»Nicht ›Nö‹. Noah. Wie der alte Hebräer mit dem großen Boot voller Tiere.«
»Oh. Noah«, sagte sie. »Das ist ein seltsamer Name für einen Lakaien.«
Er seufzte.
»Die Sache ist die …«, fing er an, sprach aber nicht zu Ende.
»Die Sache ist was?«, wollte sie wissen.
»Die Sache ist, manchmal überstehe ich die Dinge mit einer Geschichte. Weißt du, mit einer Fantasie.«
»Ja?«
»Ein Wunschtraum.«
»Ich weiß, was eine Fantasie ist«, sagte sie, schon wieder ärgerlich. »Was für eine hast du?«
Er lachte bitter. »Die Details habe ich noch nicht so ganz klar, aber irgendwie sind wir beide am Ende zusammen. Und zwar nicht in einer Irrenanstalt, sondern zusammen halt. Wie ich schon sagte, die Details habe ich noch nicht auf der Reihe. Da gibt es ein Haus. Nichts Großartiges. Einfach halt so zum Wohnen.«
»Du denkst gleich an Ehe? Du kennst mich doch erst seit ein paar Wochen.«
»Fantasievorstellungen müssen keinen Sinn ergeben«, blaffte er. »Deshalb sind es Fantasievorstellungen. Die sind nicht dazu da, logisch zu sein, sondern dazu, dass du nicht den Verstand verlierst oder dich umbringen willst.« Er bemerkte, wie sie ihn anschaute, und sagte: »Nein, um Himmels willen, ich bin nicht selbstmordgefährdet. Und ich mache dir auch keinen Antrag. Vergiss einfach, dass ich was gesagt habe.«
Inzwischen gingen sie langsamer. Beide hatten beschlossen, diese Zeit zu verlängern, anstatt sie zu verkürzen.
»Ich habe auch einen Wunschtraum«, sagte sie. »Und zwar, dass all das ein lebhafter Traum ist, und dass ich daraus erwache und feststelle, dass ich bloß mit einem normalen Augenpaar sehe und merke gar nicht, dass es Zeit ist, diesem Lymphozyten auszuweichen.«
Ein Fahrradkurier verfehlte sie nur knapp. Da sie beide Stadtkinder waren, aus London und New York, ließen sie sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Dann ist das also alles ein Traum, wie?«, fragte Keats.
»Ein Traum. Ja. Und alles wird wieder normal.«
»Und ich bin nicht mehr darin.«
Sie blieb stehen. Er blieb stehen.
»Ach du meine Güte: Du bist doch da.« Sie gab sich keine Mühe, das Erstaunen in ihrer Stimme zu verbergen.
Es stimmte, und es verblüffte sie: Selbst wenn sie sich vorstellte, dass alles wieder rückgängig gemacht worden wäre, kein Vincent, kein Caligula, keine Bioten oder Armstrong-Zwillinge, kein schrecklicher Flugzeugabsturz, der ihr den Vater und den Bruder geraubt hatte, dann war Keats noch immer da.
»Und ich nehme an, ich bin dein Lakai.«
»Du bist der Junge, der seine Groschen spart, damit er mich ins Kino ausführen kann«, sagte sie und schüttelte den Kopf, als ihr bewusst wurde, dass dies die Wahrheit war. »Ich spendiere das Popcorn. Eine
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