BZRK Reloaded (German Edition)
einen halben Meter von ihm entfernt. Helle asche fiel von ihrer Zigarette herab. Er konnte sehen, wie sich ihr Finger um den Abzug spannte. Alles lief in Zeitlupe ab.
Klick.
Augenblicklich griff die ETA-Agentin nach einem neuen Magazin, aber Farid hatte sich schon wieder aufgerappelt und krabbelte, sprang, schluchzte, schmeckte das Blut in seinem Mund, ohne zu wissen, was passiert war, nur mit der einen Gewissheit: LAUF!
Der Laden hatte einen zweiten Eingang von der Nineteenth Street her. Bevor er recht wusste, wie, war er auf der Straße und lief beinahe in ein vorbeifahrendes Taxi hinein, dann weiter Richtung Norden die Straße hinauf. Wunderbarerweise meinte der Taxifahrer, Farid wolle bei ihm mitfahren, dachte, dieser würde hinter seinem Wagen herrennen.
Das Taxi hielt an.
Farid riss die Tür auf und brach auf dem Sitz zusammen. »Fahren Sie! Fahren Sie einfach!«
Der Fahrer wirkte skeptisch, bis er hinter sich einen Schuss hörte. Er hatte nicht mehrere Kriege im Sudan überlebt, nur um in Washington DC zu sterben.Er trat das Gaspedal durch.
Das Taxi raste davon. Erst jetzt merkte Farid, dass die Kugel ihm in den Mund eingedrungen und durch die Wange wieder ausgetreten war. Dabei hatte sie die Spitze eines Backenzahns mitgenommen, aber er war am Leben.
Jessica blickte sehnsüchtig zum Fenster hinaus auf die Stadt, Washington DC, während sie rittlings auf Bug Man saß und mit kräftigen Bewegungen seinen schmalen Rücken massierte.
Die Sonne war untergegangen und hatte das Washington Monument in orangefarbenes Licht getaucht. Dann kam der Regen, und die Landschaft verschwand im Dunkel. Es war deprimierend. Bestimmt war dort irgendwo ein Club, ein Nachtlokal. Irgendetwas.
Gleich dort, auf der anderen Seite des Flusses war es. So geschichtsträchtig. Und wahrscheinlich auch Einkaufsstraßen. Restaurants. Läden. Und das Weiße Haus und all das.
Es war eine eigenartig gedrungene Stadt, eher wie Brooklyn, wo Jessica und Bug Man – sie kannte ihn als Anthony – lebten, weniger wie Manhattan. Es sah nicht nach einem derart wichtigen Ort aus.
»Können wir heute Abend nicht ausgehen?«, fragte sie. Für die Frage beugte sie sich vor, legte sich auf ihn und kitzelte ihn mit den Lippen im Nacken.
»Wir können nicht ausgehen«, murmelte er. »Das habe ich dir doch schon neunmal gesagt.«
Sie zog einen Schmollmund. Was er nicht mitbekam.
»Könnten wir nicht wenigstens runter in eins der Restaurants gehen?«
Keine Antwort.
Sie kannte Anthony schon viel länger, als sie ihn liebte. Erst war er ihr völlig egal gewesen, bloß ein Junge, der zwei Jahre jünger als sie selbst war, nicht besonders gut aussehend, und ganz bestimmt nicht tough oder reich oder aufregend.
Aber dann war er ihr aufgefallen, und innerhalb kurzer Zeit hatte sie ihn gemocht und bald darauf wie eine Verzweifelte begehrt. Sie hätte alles für ihn getan.
Und doch war er objektiv gesehen keineswegs attraktiv.
Manchmal verblüffte sie das. Manchmal verblüffte sie sich selbst. Sie erinnerte sich noch gut daran, welche Jungs und Männer sie einst attraktiv gefunden hatte. Noch immer waren dicke Muskeln – die Anthony nicht besaß – und lange, muskulöse Beine – die er ebenfalls nicht hatte – und Schlagfertigkeit – dito – die Dinge, auf die sie abfuhr.
Anthony jedoch – zu klein, zu schwach, zu mürrisch – hatte eine verheerende Wirkung auf sie. Sie vergötterte ihn. Worum er sie auch bat, er bekam es, und wenn er nicht darum bat, dann gab sie es ihm trotzdem.
Nun, dachte Jessica, das Leben ist rätselhaft, nicht wahr?
»Hier ist es langweilig«, sagte Jessica und setzte die Massage fort. Er war immer verspannt. Aber seit gestern noch mehr. Er war so verspannt, man hätte fast meinen können, er hätte trainiert und es käme daher.
»Das ist ein langweiliger Ort«, pflichtete er ihr bei.
»Du kommst immerhin ein bisschen nach draußen«, sagte sie.
»Ich gehe arbeiten.«
»Wie lange geht denn dieser sogenannte befristete Auftrag noch? In New York hatten wir mehr Spaß«, sagte sie. Sie kannte die Antwort, aber noch hatte er ihr nicht befohlen, den Mund zu halten. Wenn er es tat, würde sie den Mund halten, selbstverständlich. Aber bisher hatte er es nicht gesagt, und deshalb fragte sie.
»Weiß nicht«, sagte er in die Matratze.
»Ich kann nicht ewig in einem Hotelzimmer bleiben«, protestierte sie.
Ohne etwas zu sehen, griff er nach hinten und tastete so lange, bis er ihren Schenkel zu fassen bekam. »He, du
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