BZRK Reloaded (German Edition)
ist am Strand gelandet.
Danach fühlte sie sich besser. Pflicht erfüllt.
Dreihundertundzweiundachtzig …
Dreihundertunddreiundachtzig …
Minako war ein schönes Mädchen, mit langem Haar wie dunkler Honig und unnatürlich großen, hellbraunen Augen. Der Schönheitsfehler, der sie am meisten ärgerte, war, dass ihr Mund ein bisschen schief war und deshalb ihr Kinn etwas spitz wirkte, wenn man sie im Profil betrachtete. Dazu kam, dass ihre Wangen mit Sommersprossen gesprenkelt waren.
Natürlich war sie an ihrer Schule ein Sonderling. Zwar war sie nicht die einzige Japanerin mit amerikanischen Vorfahren – schließlich waren seit dem Zweiten Weltkrieg Tausende US-Soldaten in Okinawa gewesen –, aber im Gegensatz zu den anderen sah sie ebenso amerikanisch wie japanisch aus. Ihr Vater war irischer Abstammung gewesen, und nein, ihre Mutter war weder Prostituierte noch ein Partyluder. Minakos Eltern waren rechtmäßig verheiratet. Sie waren furchtbar verliebt gewesen.
Aber Captain McGrath, USMC, war nach Afghanistan geschickt worden, als Minako gerade erst drei Jahre alt gewesen war. Dort war er in einem Hinterhalt ums Leben gekommen.
Auf Minakos Nachttisch stand sein Bild. Aber sie hatte eigentlich keine Erinnerungen mehr an ihn.
Nur das Bild.
Sie war bei Schritt Nummer sechshundertfünfundvierzig angelangt, als sie die beiden Männer zurückkommen sah. Jeder von ihnen trug zwei schwere Plastiktüten aus dem Lebensmittelladen. In den prallen Tüten steckten Reiswein, französischer Cognac und Zigaretten.
Sechshundertsechsundvierzig …
Sechshundertsiebenundvierzig …
Gleich war sie da. Doch wenn sie sich jetzt zum Strand wandte, würde sie direkt in die beiden Männer hineinlaufen. Das würde so aussehen, als würde sie es mit Absicht machen.
Panik versetzte ihr einen Stich. Sie brauchte dringend eine gute Zahl. Der Tag war nicht gut gelaufen. Und wenn sie nicht auf ihre Zahl kam, würde das Unspezifizierte Unglück eintreten.
Sie waren zu schnell zurückgekommen.
Sechshundertzweiundfünfzig …
Sechshundertdreiundfünfzig …
»He, Kleine«, sagte der Asiate. Er sprach Englisch mit einem Akzent. Minako konnte ziemlich gut Englisch, denn ihre Mutter hatte darauf bestanden – und die Schule natürlich auch.
»Die genügt«, sagte der andere, der einen russischen Akzent hatte.
Die beiden lösten sich voneinander. Sie breiteten die Arme aus, was mit den schweren Tüten etwas umständlich war.
Erst war Minako verwirrt. Was machten die da? Sie hatte ihre Schritte fast geschafft.
Sechshunderteinundsechzig …
Noch vierzig Schritte, dann wäre sie bei ihren siebenhunderteins.
»Wie heißt du, Süße?«
Auf Japanisch sagte sie: »Ich verstehe Sie nicht.« Begleitet von einem schüchternen, Entschuldigung heischenden Schulterzucken.
Nur noch zwanzig Meter trennten sie jetzt, und ihr fehlten immer noch fünfunddreißig Schritte. Plötzlich rannten die Männer auf sie zu. Ihr blieb keine andere Wahl, sie musste abbrechen und fortlaufen, sie tat noch einen Schritt – Nummer sechshundertachtundsiebzig –, bevor sie aufgab und ebenfalls losrannte – und mit dem Gesicht voraus in den Sand fiel.
Der Mann aus dem Boot hatte sich ihr von hinten genähert und sie gestoßen. Sie hatte Sand im Mund. Sie schrie auf, aber ihre Stimme wurde von der Brandung übertönt. Sie wollte sich zur Seite rollen, aber ein Gewicht drückte schwer auf ihren Rücken.
»Wehr dich nicht«, sagte der Mann viel zu nahe an ihrem Ohr. »Niemand wird dir wehtun. Wir bringen dich an den glücklichsten Ort der Welt.« In dem letzten Satz schwang etwas Hämisches mit.
Minako machte den Mund auf, um erneut zu schreien, aber da wurde ihr ein Tuch in den Mund gestopft. Sie hörte ein reißendes Geräusch, als ihr ein Klebeband um den Kopf gewickelt wurde und sich in ihrem Haar verfing.Hände hielten ihre Beine fest.
»Wir könnten uns ein bisschen vergnügen, bevor wir sie abliefern«, schlug der Asiate vor.
Sie schrie mit ihrem Knebel.
»Niemand behelligt die Dorfbewohner.« Die Stimme gehörte zu dem Mann aus dem Schlauchboot. Zu dem, der sie gestoßen hatte. Zu dem, der rittlings auf ihrem Rücken saß, während sein Kumpel ihr Klebeband um die Knöchel wickelte. Die Asche seiner Zigarette landete auf ihrer Wange. »Mach keine Dummheiten, KimKim.«
»Zoob, ich sag ja nur …«, sagte der, den sie KimKim nannten.
Auch ihre Handgelenke fesselten sie mit Klebeband. Der, der Zoob hieß, durchsuchte ihre Taschen, fand ihr Handy,
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