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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
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Enthüllungen zu bereiten.
    Es würde Enthüllungen geben. Boone hatte sich zwar bisher geweigert, auch nur die einfachsten Fragen zu 173

    beantworten, aber er würde sein Schweigen einmal brechen, und wenn das geschah, würde auch Decker Fragen gestellt bekommen. Es bestand keine Möglichkeit , daß Boones Vorwürfe Eindruck machen würden – der Mann war von Kopf bis Fuß blutig und mit Menschenfleisch im Mund gefunden worden –, aber die jüngsten Ereignisse enthielten Elemente, die selbst Decker belasteten, und er würde keine Ruhe haben, bevor jede Variable in der Gleichung ersetzt worden war.
    Was war beispielsweise mit Boone geschehen? Wie war der von Kugeln durchbohrte und für tot erklärte Sündenbock zu dem rasenden Monster geworden, das ihm in der vergangenen Nacht beinahe das Leben genommen hatte?
    Um Himmels willen, Boone hatte sogar selbst behauptet, er sei tot gewesen, und Decker hatte im Schrecken des Augenblicks die Psychose fast geteilt. Jetzt sah er klarer.
    Eigerman hatte recht. Sie waren Freaks, wenn auch ausge-flippter als die gewöhnlichen. Wesen wider die Natur, die man unter ihren Grabsteinen hervorzerren und mit Benzin übergießen mußte. Er würde dann mit Freuden selbst das Streichholz anzünden.
    »Decker?«
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen und sah Eigerman, der die Tür vor den drängenden Journalisten drau-
    ßen verschloß. Alle Spuren seines einstigen Selbstbe-wußtseins waren dahin. Er schwitzte stark.
    »Okay. Was, zum Teufel, geht hier vor?«
    »Haben wir ein Problem, Irwin?«
    »Scheiße noch mal, und wie wir ein Problem haben.«
    »Boone?«
    »Natürlich Boone.«
    »Was?«
    »Die Ärzte haben ihn gerade untersucht. Das ist Vor-schrift.«

    174

    »Und?«
    »Wie oft haben Sie auf ihn geschossen? Dreimal? Vier-mal?«
    »Ja, vielleicht.«
    »Nun, die Kugeln sind immer noch in ihm.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Decker. »Ich sagte Ihnen doch, wir haben es hier nicht mit gewöhnlichen Menschen zu tun. Was sagen die Ärzte? Daß er tot sein sollte?«
    »Er ist tot.«
    »Seit wann?«
    »Ich meine nicht, daß er sich hingelegt hat und gestorben ist, Pißkopf«, sagte Eigerman. »Ich meine, er sitzt in meiner verdammten Zelle und ist tot. Ich meine, sein Herz schlägt nicht.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Ich habe zwei Wichser hier, die mir sagen, daß der Mann ein wandelnder Toter ist und mich auffordern, mich selbst davon zu überzeugen. Was sagen Sie dann dazu, Doktor?«

    175

    XVII
    Delirium
    Lori stand gegenüber dem ausgebrannten Restaurant auf der Straße und beobachtete es fünf Minuten lang, um festzustellen, ob irgendwelche Aktivitäten darin herrsch-ten. Keine. Erst jetzt, bei Tageslicht, wurde ihr klar, wie heruntergekommen diese Gegend war. Decker hatte eine gute Wahl getroffen. Die Chance, daß ihn jemand gestern nacht das Haus betreten oder verlassen gesehen hatte, war gleich Null. Nicht einmal am hellen Nachmittag gingen Passanten in der einen oder anderen Richtung vorbei, und die wenigen Fahrzeuge, die die Durchgangsstraße benützten, hatten es eilig, zu lohnenderen Zielen zu gelangen.
    Etwas an der Szene – möglicherweise die Hitze der Sonne im Kontrast zu Sheryls namenlosem Grab – rief ihr das einsame Abenteuer in Midian wieder ins Gedächtnis; genauer, ihre Begegnung mit Babette. Nicht nur ihr geistiges Auge beschwörte das Mädchen herauf. Es war, als würde ihr ganzer Körper die erste Begegnung nochmals durchleben. Sie konnte das Gewicht des Tiers spüren, das sie unter dem Baum aufgehoben und an die Brust ge-drückt hatte. Sein keuchender Atem ertönte in ihren Ohren, der bittersüße Geruch kitzelte ihre Nase.
    Die Empfindungen kamen mit solcher Heftigkeit, daß sie beinahe eine Beschwörung waren: vergangene Gefahren signalisierten gegenwärtige. Sie schien das Kind zu sehen, das aus ihren Armen zu ihr aufschaute, obwohl sie Babette in ihrer menschlichen Gestalt nie getragen hatte.

    176

    Der Mund des Kindes ging auf und zu und formulierte einen Appell, den Lori nicht – nur anhand der Lippen –
    lesen konnte.
    Dann verschwanden die Bilder wie von einer Kinoleinwand, die mitten im Film leer wird, und sie hatte nur noch eine Reihe von Eindrücken: die Straße, die Sonne, das ausgebrannte Gebäude vor ihr.
    Es hatte keinen Zweck, den bösen Augenblick noch länger hinauszuschieben. Sie überquerte die Straße, trat auf den Gehweg und ging, ohne zuzulassen, daß ihr Schritt auch nur einen Takt langsamer wurde, durch den verkohlten

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