Cabal - Clive Barker.doc
Vorderseite zu gelangen, eine Bewegung, die von einem Strom bewaffneter Polizisten gekontert wurde, die von der Vorderseite kamen, um an der Rückseite Stellung zu beziehen. Zwei weitere Streifenwagen erschienen auf der Bildfläche. Der erste brachte weitere bewaffnete Polizisten; der zweite eine Gruppe Interessierter. Zwei Not-arztwagen folgten.
Sie werden mehr brauchen, dachte sie grimmig. Viel mehr.
Obwohl die Ansammlung so vieler Autos und bewaffneter Männer eine Gruppe Schaulustiger angezogen hatte, war die Szene vorne gedämpft, beinahe be iläufig.
Ebenso viele Menschen wie hineingingen, standen vor dem Gebäude und betrachteten es und sahen sich um.
Inzwischen hatten sie begriffen. Das Haus war ein zwei-stöckiger Sarg. Hier waren in der Nacht wahrscheinlich mehr Menschen ermordet worden, als in Shere Neck während seiner gesamten Existenz eines gewaltsamen Todes gestorben waren. Jeder, der sich an diesem strah-lenden Morgen hier versammelt hatte, machte Geschichte. Dieses Wissen brachte sie zum Schweigen.
Ihre Aufmerksamkeit ging von den Zeugen zu einer Gruppe Menschen, die um das erste Auto herumstanden.
Eine Lücke im Kreis der Diskutierenden ermöglichte ihr kurz einen Blick auf den Mann in der Mitte. Konventionell gekleidet, in der Sonne blitzende Brille. Decker hielt Hof.
Wofür setzte er sich ein: die Möglichkeit, seinen Patienten ans Licht herauszulocken? Wenn das sein Anliegen war, so wurde er vom einzigen uniformierten Mitglied des Kreises überstimmt; wahrscheinlich handelte es sich um 165
den Polizeichef von Shere Neck, der seine Bitte mit einer Handbewegung ablehnte und dann die Runde völlig verließ. Aus der Ferne war es nicht möglich, Deckers Antwort mitzubekommen, aber er schien vollkommen beherrscht und beugte sich vornüber, um einem der anderen etwas ins Ohr zu sagen, der angesichts der geflüsterten Bemerkung feierlich nickte.
Gestern nacht hatte Lori Decker, den Wahnsinnigen, ohne Maske gesehen. Jetzt wollte sie ihn wieder demaskieren; wollte die Fassade seines zivilisierten Mitgefühls einreißen. Aber wie? Wenn sie aus ihrem Versteck trat und ihn herausforderte – wenn sie zu erklären versuchte, was sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden gesehen und erlebt hatte – , würden sie sie in eine Zwangsjacke stecken, bevor sie noch einmal durchatmen konnte.
Er war derjenige im maßgeschneiderten Anzug, mit dem Doktortitel und Freunden an höchster Stelle; er war der Mann, die Stimme der Vernunft und Analyse; aber sie
– obendrein nur eine Frau! –, was hatte sie schon für Referenzen vorzuweisen? – Geliebte eines Wahnsinnigen und zeitweiligen Monsters? Deckers Mitternachtsgesicht war in Sicherheit.
Im Inneren des Gebäudes wurden plötzlich Rufe laut.
Auf Befehl ihres Vorgesetzten senkten die Polizisten vor dem Haus die Waffen auf den Eingang; der Rest wich ein paar Meter zurück. Zwei Polizisten, deren Pistolen auf jemand im Inneren gerichtet waren, kamen rückwärts heraus. Einen Herzschlag später wurde Boone, dem man Handschellen angelegt hatte, ins Licht gestoßen. Es blendete ihn fast. Er versuchte, sich dem Gleißen zu entziehen und wieder in den Schatten zu gelangen, aber zwei bewaffnete Männer, die ihn herausdrängten, folgten ihm.
Von der Kreatur, in die er sich vor Loris Augen verwandelt hatte, war keine Spur mehr zu sehen, aber an seinen 166
Hunger erinnerte noch vieles. Blut klebte das T-Shirt an seine Brust und bedeckte Gesicht und Arme.
Die Menge, uniformiert oder nicht, applaudierte verhalten, als sie den in Ketten gelegten Killer sahen.
Decker stimmte ein, lächelte und nickte, während Boone, der den Kopf von der Sonne abwandte, abgeführt und auf den Rücksitz eines der Autos gedrängt wurde.
Lori beobachtete die Szene mit vielen widerstreben-den Gefühlen, die sie bedrängten. Erleichterung, daß Boone nicht sofort erschossen worden war, vermischt mit Entsetzen darüber, was aus ihm geworden war, wie sie jetzt wußte; Wut über Deckers Vorstellung und Ekel angesichts derer, die sich davon täuschen ließen.
So viele Menschen. War sie die einzige, die kein geheimes Leben hatte; keine andere Persönlichkeit im Mark oder im Denken? Wenn nicht, hatte sie in diesem Spiel der Äußerlichkeiten wahrscheinlich nichts verloren; vielleicht waren Boone und Decker hier die wahren Liebenden, die sich schlugen und Gesichter tausch-ten, aber notwendig füreinander waren.
Und sie hatte diesen Mann in die Arme genommen, hatte verlangt, daß er sie
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