Cäsar Cascabel
wagten sie sich nicht sehr nahe an die blitzbewehrte Dame heran, welche sie mit ihrem bezauberndsten Lächeln empfing. Sie zögerten auch sichtlich, ihre Hand zu berühren. Ebenso der Tyhi und der Zauberer, welche aber gern ein Geheimnis gekannt hätten, aus dem sie Nutzen ziehen gekonnt – das ihr Ansehen bei den Indianerstämmen erhöht haben würde.
Da die Reisevorbereitungen vollendet waren, nahmen Herr Cascabel und die Seinen am Morgen des sechsten August von ihren Wirten Abschied und das gehörig ausgeruhte Gespann schlug die westliche Richtung längs des rechten Flußufers ein.
Herr Sergius und Jean hatten sorgfältig die Karte studiert und sich dabei die speziellen Weisungen zu Nutze gemacht, welche die junge Indianerin ihnen gab. Kayette kannte die meisten Dörfer, die man passieren mußte, und versicherte, daß keinerlei Gewässer die Fahrt der Belle-Roulotte ernstlich behindern werde.
Übrigens war noch nicht die Rede davon, das Youkonthal zu verlassen. Man würde vorerst auf dem rechten Flußufer bis zu dem Posten Neku vordringen und das Dorf Nuclakayette passieren; von Nuclakayette bis ans Fort Noulato würde man dann noch achtzig Meilen zurückzulegen haben. Dort erst würde das Gefährt den Youkon verlassen, um sich direkt nach Westen zu wenden.
Die Jahreszeit war noch immer günstig; die Tage waren warm, wenngleich man nachts ein fühlbares Sinken der Temperatur konstatierte. Somit hatte Herr Cascabel, wenn nicht etwa unvorhergesehene Verzögerungen eintraten, die Gewißheit, Port-Clarence zu erreichen, bevor der Winter ihm unüberwindliche Hindernisse in den Weg legte.
Man wird sich vielleicht wundern, daß eine solche Reise verhältnismäßig so leicht von statten ging. Aber ist das nicht immer der Fall in ebenen Ländern, wenn die schöne Jahreszeit, die Länge des Tages, die Milde des Klimas die Reisenden begünstigt? Jenseits der Beringstraße würde das anders werden, wenn die sibirischen Steppen ringsum mit dem Horizont verschwammen, wenn der Winterschnee sie unabsehbar bedeckte und der Nordsturm darüber hinfegte. Als man eines Abends von den kommenden Gefahren sprach, rief der zuversichtliche Cascabel:
»Ei! wir werden schon damit fertig werden!«
»Ich hoffe es,« antwortete Herr Sergius. »Aber ich rate Ihnen, sich, sowie Sie die sibirische Küste betreten, nach Südwesten zu wenden, um die südlicheren Gebiete zu gewinnen, wo die Belle-Roulotte weniger von der Kälte zu leiden haben wird.«
»Das ist unsere Absicht, Herr Sergius,« antwortete Jean.
»Und Sie werden um so vernünftiger daran thun, meine Freunde, als die Sibirier nicht zu fürchten sind, wenn man sich nicht etwa… wie Clou sagen würde… unter die Stämme der Nordküste wagt. In der That wird die Kälte Ihr größter Feind sein.«
»Wir sind darauf vorbereitet,« sagte Herr Cascabel, »und wir werden die Reise schon überstehen. Wir hegen nur ein Bedauern, Herr Sergius; nämlich, daß Sie nicht mit uns reisen werden!«
»Ja,« fügte Jean hinzu, »ein tiefes Bedauern!«
Herr Sergius fühlte, wie lieb die Familie ihn gewonnen hatte und wieviel Freundschaft er selber für sie empfand. Je länger ihr vertrauter Umgang währte, desto inniger wurde ihre gegenseitige Zuneigung. Die Trennung würde eine schmerzliche sein; und würden die Zufälligkeiten ihrer so verschiedenen Existenzen sie je wieder zusammenführen? Dann würde Herr Sergius auch Kayette mit sich fort nehmen, und er hatte Jeans Freundschaft für die junge Indianerin schon lange wahrgenommen. Hatte Herr Cascabel dies in dem Herzen seines Sohnes bereits so rege Gefühl bemerkt? Herr Sergius wußte es nicht zu sagen. Was Cornelia betrifft, so glaubte er, da die vortreffliche Frau sich nie über dies Thema geäußert hatte, dieselbe Zurückhaltung beobachten zu sollen. Wozu hätte auch eine Auseinandersetzung gedient? Es war eine andere Zukunft, welche der Adoptivtochter des Herrn Sergius harrte, und der arme Jean gab sich unerfüllbaren Hoffnungen hin.
Schließlich ging die Reise ohne große Hindernisse oder Anstrengungen von statten. Port-Clarence würde erreicht sein, bevor der Winter die Beringstraße passierbar machte, und man würde dort eine gewisse Zeit zubringen müssen. Folglich war keine Notwendigkeit vorhanden, Menschen und Tiere übermäßig anzustrengen.
Indessen mußte man doch immer auf einen möglichen Zwischenfall gefaßt sein. Ein verletztes oder krankes Pferd, ein gebrochenes Rad konnte die Belle-Roulotte ernstlich in Verlegenheit
Weitere Kostenlose Bücher