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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Natur gibt es den Begriff nicht. Gehorchen, befehlen und wieder gehorchen, unterordnen, überordnen, angleichen, ausgleichen, einsehen — das ist das Gesetz, das das Leben uns in Wahrheit vor Augen führt. Kein Wesen, kein Mensch, keine Gesellschaft ist im echten Sinne souverän. Und wenn sie es nicht im echten ist, wird der Begriff dubios. Er ist erfunden worden wie das Dynamit, und er hat auch dieselbe Wirkung.
    Der bisherige langjährige »Kampf« zwischen Patriziern und Plebejern, den die heutigen Lehrbücher mit Behagen Klassenkampf oder Ständekampf nennen, war kein ideologischer, sondern eine handfeste Forderung nach Lastenausgleich und juristischer Sicherheit gewesen. Man hatte um Land gekämpft — nicht, weil eine abstrakte Ungerechtigkeit schmerzte oder weil man es im nächsten Augenblick an eine Bausparkasse verkloppen wollte, sondern weil man es bearbeiten wollte. Man hatte um die Trennung von wirtschaftlicher Lage und Menschenwürde gekämpft — nicht weil man so kindisch war zu glauben, daß arm gleich gut und reich gleich schlecht sei, sondern weil man den einzigen wirklichen Alptraum aller Römer, die Versklavung aus Verschuldung, für immer beenden wollte. Man hatte für die Einrichtung der Tributkomitien gekämpft — nicht als Gewerkschaft, nicht als quantitative Antwort auf die Qualität, sondern als Demoskopie, als eigene »Buchprüfung«.
    Nun aber kamen zum erstenmal Männer mit dem Dynamit in der Tasche.
    Wer waren sie?
    Keine Arbeiter, keine Bauern natürlich. Die wußten gar nicht, was Ideologie ist, und materielle Wünsche hatten sie im Augenblick nicht.
    Also, wer waren sie? Unterdrückte doch wohl? Natürlich nicht. Auch die Weltbeglücker unter unseren Studenten-Randalierern sind nicht Unterdrückte, sie sind alle Söhne mit gesichertem freiem Leben. Die »Unterdrückten« sind nur ihr Sprungbrett. Sie gehören nicht zu ihnen, in keinem Punkt. Sie »sehen« nur immer die Unterdrückung »klar« und leiden »mit«. Nun ist es jedoch nicht so, daß sie ihnen daraufhin ihr Portemonnaie leihen würden, nein, das wäre schäbig und ein Almosen: Sie leihen ihnen ihr geöltes Mundwerk. Und was sie fordern, ist nie etwas, womit die »Unterdrückten« etwas anfangen können, sondern immer nur sie selbst. Wir kennen es alle: man fordert für die Arbeiter einen Vorstandssessel und setzt sich selbst drauf.
    Damals in Rom war es eine Gruppe von Unternehmern, steinreich gewordenen Plebejern, die die ungeahnten Möglichkeiten entdeckten, die in einem Klassenkampf stecken. Was sie forderten, war ein Gesetz, das auch der Plebs erlaubte, Konsuln zu stellen. (Im »Parlament«, im dreihundertköpfigen Senat, saß sie schon seit einer Generation, mit Recht natürlich.)
    Es ist anzunehmen, daß die Plebs über das neue Gesetz baß erstaunt war. Ein Zusammenhang zwischen ihrem Sonntagsbraten und der Besetzung der höchsten Beamtenstelle, die in puncto Braten überdies gar nichts zu sagen hatte, war ihr schleierhaft.
    Damit war klar, daß man nicht an den Verstand der Menge appellieren mußte, sondern an jene Giftdrüse, die zusammen mit der Chrysantheme am Frack das Menschengeschlecht von den Tieren unterscheidet: an das Ressentiment. Der Duden übersetzt dieses Wort mit »Wiedererleben eines meist schmerzlichen Nachgefühls«. Nietzsche nannte es, weniger fein aber um vieles deutlicher: das Gefühl ohnmächtigen Hasses, das dem kulturell und geistig tiefer Stehenden gegen den Noblen und Mächtigen eingeboren ist.
    Um dieses Ressentiment zu entfachen, wäre die Frage an das Volk »Wollt ihr, daß der eine der beiden Konsuln ein Plebejer ist« gänzlich falsch. Die Plebs könnte ja auf den Gedanken kommen, mit Nein zu antworten. Die Frage muß vielmehr lauten: »Warum soll eigentlich immer nur...«, das genügt schon, der Satz braucht nicht vollständig zu sein, der Stachel sitzt. Und das, meine Freunde, der Stachel, der ist es eben!
    366 kam das Gesetz durch. Köstlicher Augenblick, als dem ehrenwerten Sextius Lateranus zum erstenmal die zwölf Liktoren mit ihren Rutenbündeln vorausschritten und die Patrizier zur Seite traten und grüßten. Zerbrechen Sie sich bitte nicht den Kopf, welches Handwerk Sextius vorher betrieben hatte: er war Volkstribun gewesen.
    Aber, wie gesagt, das Konsulat war kostspielig und eine Plage, und der Kreis der neuen Retter des Proporz war klein: Im Jahre 356 waren die Herren schon nicht mehr imstande, einen Konsul zu stellen; und das passierte ihnen dann noch öfter. In solchen

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