Cäsar
sie zur großen Steinplatte, auf der das Blut längst geronnen war, und schoben sie in die halb mannshohe Vertiefung, die Zugang zur Unterwelt sein mochte.
Zwei Tage später erreichten sie wieder Cenabum. In der Burg wartete Lucius Pertinax auf sie; sein Gesicht war ausdruckslos.
»Herr«, sagte er, »vor drei Tagen, einen Tag nach eurem Aufbruch, kam der Legat Quintus Tullius Cicero mit Reitern. Er hat Kalypso und ihre Sklavin mitgenommen.«
Aurelius ließ sich auf einen Schemel sinken; Orgetorix trat hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Mitgenommen? Mit… mit Gewalt?« Seine Stimme war fremd.
»Nur mit Worten. Sie hat sich gesträubt, Herr. Sie hat ein wenig geweint und einen Brief geschrieben. Dann sind sie fortgeritten.«
»Dich trifft keine Schuld«, sagte Aurelius heiser. »Die Anordnungen eines Legaten sind unbedingt zu befolgen. Wo ist der Brief?«
Pertinax schüttelte den Kopf; seine Miene drückte nun doch etwas wie Anteilnahme oder gar Traurigkeit aus. »Es gibt keinen Brief. Kurz nach dem Aufbruch ist der Legat zurückgekommen. Er hat den Brief von mir gefordert und ins Feuer geworfen.«
Aurelius litt eine Weile mehr oder minder stumm. Orgetorix half ihm beim Schweigen und Trinken; beinahe war Aurelius dankbar, daß Catullus und seine scharfe Zunge nicht mehr dabei waren. Aber er vermißte den Poeten. Irgendwann schrieb er sogar dessen verbrannte letzte Verse nieder, war sich aber nicht ganz sicher, ob er wirklich alles behalten hatte.
Im Winter gab es nicht viel zu tun - Cenabum verwalten, die Umgebung sichern, Wege ausbessern. Caesar hatte die Legionen im Land verteilt; er selbst blieb ausnahmsweise in Gallien, statt nach Oberitalien zu reisen. Er verbrachte den Winter größtenteils in Bibracte, empfing Gesandtschaften, setzte Fürsten ab und andere ein.
Als das Frühjahr kam, endete die Untätigkeit. Es gab, wie zu erwarten gewesen war, neue Aufstände, vor allem im Norden und Nordosten bis nach Germanien. Aurelius zauderte. Eigentlich wollte er den Dienst aufgeben, nach Rom reisen, Kalypso suchen. Aber dann kamen Nachrichten und Gerüchte, vieles davon Geschwätz; Kalypso, hieß es, befinde sich in guter Gesellschaft und versuche, zwischen den Leuten des Pompeius und denen Caesars zu vermitteln.
Mit stummen Seufzern beendete Aurelius sein Zaudern. Caesar setzte ihn bei den Kriegszügen ein, teils als Lagerpräfekt, hin und wieder auch als Koch, manchmal als Präfekt eines wichtigen Nachschub oder Gefangenentrosses.
Im folgenden Winter reiste er mit Orgetorix durch den unwirklich ruhigen Nordwesten, bis an den Ozean. Dort fanden sie lange Reihen stehender Steine; die Einheimischen sagten, weise alte Männer, Priester, die Urahnen der Druiden, hätten vor Jahrhunderten den Zugang zur Anderwelt auf einer Insel gefunden und diese mit Seilen aus geflochtenen Träumen an den hierzu aufgestellten Steinen befestigt, aber die Götter hätten sich nicht an die Menschen binden wollen und die Träume gekappt. Niemand wisse, wo die Insel jetzt sei.
Nachrichten waren spärlich. Nichts über Kalypso, kein Brief - aber das bedeutete wenig. Außer Caesar und seinem unmittelbaren Stab schien niemand Schreiben aus Italien zu erhalten; die Händler, die Cenabum besuchten, erzählten von Pompeius, der sich endgültig auf die Seite des Senats und der Optimaten geschlagen habe, und von Cicero, dem man die Provinz Kilikien zur Verwaltung übertragen hatte, wo er - unerhört und beinahe empörend - gute Arbeit leiste und darauf verzichte, das Land auszubeuten. Er hinderte sogar die publicani daran, was ihm zweifellos den Haß der Steuerpächter eintrug.
Orgetorix machte ihn gelegentlich mit Gallierinnen bekannt, deren Gesellschaft die Tage schneller vergehen ließ und die Nächte aufhellte.
Das nächste Frühjahr kam. Bis auf einige Dörfer schien sich ganz Gallien mit dem neuen Zustand abgefunden zu haben. Caesar erarbeitete eine Art Provinzverwaltung; im Sommer wurden immer mehr Truppen nach Süden verlegt. Orgetorix hielt nichts davon, zu seinem alten Stamm zurückzukehren; er begleitete Aurelius auf dem langen Weg nach Vienna und weiter nach Massilia, wo dieser sich sein Guthaben und das von Catullus auszahlen ließ. Zusammen mit dem, was Caesar ihm hatte zahlen lassen, ergab es einen mittleren Schatz; nichts, was einem Crassus auch nur ein müdes Lächeln abgenötigt hätte, aber für Aurelius war es schierer Reichtum.
Sie begleiteten Caesar nach Norditalien. Dort floß der Strom
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