Cäsar
Lesbos gewesen war und nichts davon mitbekommen hatte; und vor wenigen Tagen, mit dem Jahresende nach römischem Kalender, war die Amtszeit abgelaufen. Gaius Iulius Caesar, Diktator, und Marcus Antonius sein Stellvertreter, Reiteroberst; es hatte für beide die Dinge einfacher gemacht, ohne wirklich etwas zu ändern. Und einer der Briefe erörterte die Frage einer Erneuerung der Diktatur.
Er überlegte, wie viele dictatores es in Roms Geschichte gegeben hatte. Cincinnatus fiel ihm ein, außerdem Fabius Maximus und Iunius Pera aus dem Krieg gegen Hannibal. Und natürlich Sulla.Aber das war ein anderer Fall gewesen. Er war sich sicher, daß neben denen, die er nennen konnte, noch andere das Amt innegehabt hatten, in furchtbarer Bedrohung für den Staat von den Konsuln ernannt oder vom Volk bestimmt, »für höchstens sechs Monate. Immer ein dictator, der ursprünglich wohl das Fußheer befehligen sollte, und ein magister equitum für die Reiterei. Sulla hatte sich zum Diktator gemacht, um den Staat nach seinen Vorstellungen umzubauen, nicht um ihn gegen äußere Feinde zu schützen. Und Caesar?
Solange er die Macht besaß, die das Schwert ihm gab, konnte ihm keiner etwas anhaben. Als Diktator genoß er durch das Gesetz Straffreiheit für alles, was er im Amt tat - ging es ihm darum? Oder um einen scheinbar gesetzestreuen Umhang, unter dem die Macht sich einfacher ausüben ließ? Wollte er, wie Sulla, den Staat und die Verfassung ändern?
Was auch immer: Durch den angehörten Brief und die Gedanken fühlte sich Aurelius bestärkt in seinem Entschluß, um den Abschied, die vereinbarte »Kündigung« zu bitten. Er hegte keinerlei Zuneigung für die Gegenseite, die hochmütigen Reichen und Senatoren, die den Staat so erhalten wollten, wie er ihnen nützte. Allenfalls ein wenig zähneknirschende Bewunderung für die Sturheit, mit der Cato an Vorstellungen von Recht und Gesetz festhielt, die keiner mehr mit ihm teilte, schon gar nicht seine senatorischen, adligen und reichen Verbündeten.
Die wahnwitzigen Änderungen, die Caesar auf hundert Fetzen Papyrus entworfen hatte, bedangen eine Umwälzung alles Bestehenden und hundert Jahre Blutvergießen, zur Durchführung aber eine Tyrannei. Wer sollte nach dem Tod des Tyrannen weitermachen, außer einem zweiten Tyrannen, der vielleicht ganz andere Ziele hätte?
Also Caesars Tyrannei, denn eine Rückgabe der Macht und des Staats an jene, die der Imperator bekämpfte, war nicht von ihm zu erwarten. Aurelius achtete und bewunderte ihn, aber er wollte keinen Tyrannen. Er wollte aber auch nicht den alten Staat, in dem Ämter Geld bedeuteten, Geld ein Amt, Wahlen Bestechung und Verwaltung Ausbeutung.
Dann lächelte er unwillkürlich, weil ihm Verse des toten Catullus einfielen.
Rufus mag nicht bleiben und will nicht gehen, nicht in Rufa kommen und nicht verhalten, will im Wasser darren, im Feuer dinsen, nur nichts entscheiden.
›Quintus schmäht Tyrannen und Senatoren‹, dachte er. ›Quintus sollte sich irgendwie entscheiden.‹ »Darf ich den Grund deiner Heiterkeit erfahren?« Caesar hatte sich von den Schreibern abgewandt und kam zu ihm.
Aurelius stand auf. »Nichts Wichtiges, Imperator«, sagte er.
»Nur ein dummer Scherz, an den ich eben dachte.«
»Komm, gehen wir nach nebenan.« Auf dem Weg in ein kleines Schreibgemach, in dem er offenbar allein zu arbeiten pflegte, sagte er: »Scherze erleichtern das Leben und sind selten in diesen wirren Zeiten. Laß mich mitlächeln.«
Ein wenig verlegen zitierte Aurelius die Strophe. Caesar grinste, lehnte sich mit dem Gesäß an seinen Schreibtisch und wies auf einen Stuhl, der davorstand.
»Setz dich. Rufus und Rufa - die aus Bononia? Ach, es ist gleich. Und du kannst dich nicht entscheiden zwischen mir und den anderen?«
»Die kommen nicht in Frage, Imperator.«
Caesar hob den Saum seiner kurzen Tunika und kratzte sich einen Mückenstich am Oberschenkel. »Zwischen Skylla und Charybdis muß man sich irgendwann entscheiden.«
Vorsichtig sagte Aurelius: »Das stimmt. Es sei denn, man bringt es fertig, das Meer zu verlassen.«
»Ah. Dieser Händler, der bei Kleopatra war… Aristeias? Willst du mit ihm zum kimmerischen Bosporos fliehen?«
Aurelius hob die Hände. »Was bliebe dir verborgen?«
»Wenig. Wann willst du weg?«
»Nicht jetzt. Nicht, solange gekämpft wird. Erst dann, wenn du mich nicht mehr brauchst.«
Caesar zupfte an seinem Ohrläppchen und betrachtete ihn mit schmalen Augen. Dann langte er
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