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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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winterliche Italien. Weit besser jedoch wäre es gewesen, in den Bergen hinter Tusculum bleiben zu können.
    Hinken, die Zähne zusammenbeißen, nicht auf die Schmerzen und die Müdigkeit achten. Vielleicht würde er vor der Stadt einen Bauern finden, einen Händler, jedenfalls einen Karren, der ihn zur Schänke brachte, wo Sasila und der Dichter warteten. Vielleicht auch nicht; dann müßte er hinken, bis die Sonne untergegangen wäre. Vorher konnte er den Weg zu Fuß nicht zurückgelegt haben.
    Die Sonne würde untergehen, vielleicht risse der Schleier vor dem Himmel auf, Sterne wären zu sehen, und so - er gluckste leise - war es ihm gelungen, wieder an die Sternäugige zu denken. Unerreichbar weit über ihm, wie die Sterne. Aber bei allem, bei aller Unerreichbarkeit und Höhe (war denn eine Hetäre, die in den Kreisen der Senatoren und Ritter verkehrte, nicht ebenso hoch über ihm wie diese Männer?), war etwas in ihren Augen, ihrer Stimme, dem kargen Lächeln gewesen, das von Wärme zeugte. Als hätte sie in dem getäuschten, geplünderten, verjagten Mann, der nicht mehr Soldat und nun auch nicht mehr Wirt und Koch war, so etwas wie einen Menschen gesehen, nicht nur den beliebig verschiebbaren Gegenstand, als den Cicero ihn behandelte.
    Und er hatte nicht einmal nach ihrem Namen fragen können. Vielleicht war es ein klangvoller Name, mit schwungvollen Silben, ein rhythmischer Name, zu dem sich gut durch den Nachmittag hinken ließe. An »die Sternäugige« zu denken half nicht bei der Fortbewegung. Es half auch nicht, daß er die Empfindungen untersuchen wollte, die sie in ihm ausgelöst hatte. Die üblichen, natürlich: beschatten, begatten, ermatten. Mit Lust jene Traurigkeit herbeiführen, die laut Aristoteles alle Tiere befiel, außer den Hahn, welcher krähte. Aber wer konnte sicher sein, daß des Gockels Laute nach der Begattung Jubel waren, nicht Trübsinn? Nicht einmal Aristoteles wäre imstande, die Kundgebungen eines Hahns verläßlich zu deuten. Sollte es ihm je gelingen, mit der Sternäugigen zu den Sternen zu reiten, in der Barke nach Kythera zu schaukeln, das hitzige Tier mit den zwei Rücken zu bilden, wollte er anschließend krähen, um zu sehen, ob das etwas ausmachte.
    Aber da war noch etwas, mehr, etwas anderes. Ein Ziehen irgendwo im Inneren, in der Brust oder vielleicht in der Leber. Anwesendes Weh auf Grund einer Abwesenheit. Das Gefühl, etwas Kostbares… nein, nicht zu begehren, sondern irgendwie bereits besessen und wieder verloren zu haben. Eine Vollständigkeit, die mit allen Mängeln des Seins versöhnen, sie aufheben, sie zu Überfluß verkehren würde. Ob es das war, wovon schwärmerische Dichter faselten, wenn sie »Liebe« winselten? Oder einfach eine neue Krankheit - etwas, das man empfand, wenn im Geist eine Achillessehne durchtrennt worden war, so daß nun ein Teil der Seele ungelenk flappte? Er seufzte. Wieviel einfacher war es doch, sich an Sasila zu ergötzen und ihr Lust zu verschaffen. Zwei warme Tiere, die einander die Nächte erträglicher machten. ›Lange her‹, dachte er; in den wirren Tagen seit dem Verlust des Contubernium hatte es keine Gelegenheit gegeben; er hätte auch nichts zustande gebracht.
     
    Tatsächlich fand er vor dem Tor einen Bauern, der ihn auf dem Ochsenkarren mitnahm. Bis er die Schänke erreichte, hatte er sich wieder einigermaßen erholt. Es war kurz nach Sonnenuntergang, und die lästigen Gedanken machten sich ebenfalls bereit, irgendwo hinter ihm, im Westen, zu versinken. Er dachte nun besser und weniger hoch - an Sasila, an ein Bad, etwas zu essen. An ein paar Fragen, die er dem Dichter stellen wollte. Und an die nächsten Monate. »Ich will doch sehen, wie‘s weitergeht«, murmelte er.
    Als er den Raum im oberen Geschoß der Schänke betrat, in dem sie untergebracht waren, hörte er durch den Vorhang, der ihn teilte, den Dichter stöhnen und dabei halblaut sagen:
    »Zehntausend Küsse, o meine Lesbia, sind vergangen. Keine Küsse mehr; der arme Gaius will nicht sein Siechtum in den Mund einer Schönen husten.«
    Sasila hockte auf der mit Stroh unterlegten Lederdecke und blickte Aurelius mit einem verhangenen Lächeln entgegen.
    »Ich küsse keine Kunden«, sagte eine helle Stimme hinter dem Vorhang. »Ich reite sie. Küßt man Pferde? Oder Esel?«
    »Oder Sklavinnen?« Sasila streckte die Hand aus. »Viel Anregung da hinten. Du komm?«
    »Erst reinigen«, sagte Aurelius. »Dann kommen.«

CHRONIK 1:
DIE GRACCHEN
    Geduldete Gäste

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