Cäsar
dies der Wille der Bürger sei. Da Octavius auch dies verweigerte, sagte Tiberius, er werde nun über ihn abstimmen lassen, es sei denn, er gehe mit sich zu Rate und besinne sich eines Besseren.
Als das Volk am nächsten Tag wieder zusammentrat, legte Tiberius einen Gesetzesantrag vor, der Octavius das Tribunat entziehen sollte, und rief die Bürger zur Abstimmung. Der Antrag wurde zum Beschluß erhoben, und Tiberius gab den Befehl, Octavius von der Rednerbühne zu holen. Das Volk drang drohend auf diesen ein, und wenngleich die Reichen ihn mit eigenen Händen zu schützen suchten, gelang es kaum, ihn der erregten Menge zu entreißen. Als Tiberius merkte, was vor sich ging, stürzte er sich hastig ins Getümmel, um zur Ruhe zu mahnen.
Darauf wurde das Ackergesetz angenommen, und zur Untersuchung der Besitzverhältnisse wie zur Verteilung des Landes wählte man einen dreiköpfigen Ausschuß: Tiberius, seinen Schwiegervater Appius Claudius und seinen Bruder Gaius, der allerdings nicht in Rom war, sondern im Heere des Scipio vor Numantia.
Tiberius traf diese und weitere Anordnungen völlig ungestört, denn niemand trat ihm in den Weg. Er setzte auch an Stelle des Octavius einen neuen Tribunen ein. Die mächtigen Herren fürchteten ein weiteres Anwachsen seiner Macht und fielen im Senat unflätig über ihn her. Das Volk geriet deshalb noch mehr in Zorn. Und als ein Freund des Tiberius plötzlich starb und man an der Leiche verdächtige Zeichen zu sehen wähnte, schrie alles, der Mann sei vergiftet worden. Als er zu Grabe getragen wurde, lief das Volk zusammen, hob die Bahre auf und drängte sich zur Verbrennung. Plötzlich barst der Leichnam, ein Strom übler Säfte quoll heraus und löschte die Flammen. Auch als man neues Feuer brachte, wollte der Holzstoß nicht brennen. Tiberius legte Trauerkleider an, führte seine Kinder vor die Menge und bat sie, für die Kleinen und ihre Mutter zu sorgen, da er für sein eigenes Leben keine Hoffnung mehr habe.
Ein Politiker namens Titus Annius verlangte von Tiberius diese Erklärung: »Gesetzt, du willst meine Ehre beschmutzen, ich aber rufe einen deiner Kollegen zu Hilfe, der steigt auf die Rednerbühne, um mir beizustehen, darob gerätst du in Zorn: Wirst du ihn dann auch seines Amtes entheben?« Diese Frage soll Tiberius in solche Verlegenheit gebracht haben, daß er die Antwort schuldig blieb und verstummte.
Keine von Tiberius‘ Maßnahmen stieß auf so heftigen Widerstand wie die Absetzung des Octavius, und zwar beim Adel wie bei der Masse des Volks. Denn die Würde des Tribunats schien zerstört und verhöhnt worden zu sein. Deshalb legte er dem Volk in einer langen Rede seine Gründe dar.
Er sagte: »Heilig und unverletzlich ist der Tribun, weil er dem Volke geweiht und dessen Führer ist. Wenn er aber dem Volk schadet, dessen Einfluß mindert, ihm das Stimmrecht nimmt, so beraubt er sich selbst seines Amtes, da er die Verpflichtungen nicht mehr erfüllt, unter denen er es übernahm. Ist es nicht unerträglich, daß der Tribun einen Konsul festnehmen kann, während das Volk dem Tribunen seine Macht nicht sollte entziehen dürfen, wenn er diese zum Schaden des Volkes gebraucht? Es wählt ja den Konsul so gut wie den Tribunen. Was ist den Römern so heilig wie die Jungfrauen, die das ewige Feuer hegen? Macht sich aber eine Vestalin eines Fehltrittes schuldig, wird sie lebendig begraben. So hat auch ein Volkstribun seine Unverletzlichkeit verwirkt, wenn er dem Volk schadet. Denn damit zerstört er selbst die Kraft, die ihn trägt.«
Seine Freunde redeten ihm zu, sich für das nächste Jahr wieder um das Tribunat zu bewerben. Daher versuchte Tiberius, durch weitere Gesetze das Volk zu gewinnen. Er verkürzte die Dienstpflicht der Soldaten, schuf die Möglichkeit, vom Gericht an die Volksversammlung zu appellieren, besetzte die Gerichtshöfe, bis dahin den Senatoren vorbehalten, zur Hälfte mit Leuten aus dem Ritterstand und tat überhaupt alles, um den Einfluß des Senats zu mindern.
Am Tag, ehe die neuen Gesetze zur Abstimmung kamen, begab sich Tiberius auf das Forum und flehte gebeugt und unter Tränen die Bürger um Hilfe an. Offen gestand er seine Furcht, die Feinde könnten in der Nacht seine Tür aufbrechen, um ihn beiseite zu schaffen. Da gerieten die Leute in solche Erregung, daß sie in großen Scharen sein Haus umlagerten und es die ganze Nacht bewachten.
Morgens warf der Wärter der heiligen Hühner den Tieren das Futter hin. Sie kamen jedoch
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