Cafe con Leche
bombardiere
ich ihn mit Fragen. Wie er zum Fernsehen kam, wo er aufgewachsen sei, wie es
nun nach seiner Show weiter ginge. Chris erzählt von ihrem Traum, Luft- und
Raumfahrttechnik an der Universität studieren zu wollen. Wir trinken unsere
zweite Cola und schnell vergeht eine Stunde. Jörg ist der Erste, den es weiter
auf den Camino treibt. Seinen Rucksack packend, meint er: „Nájera hat eine
schöne Altstadt. Vielleicht sehen wir uns heute Abend dort.”
„Vielleicht”,
sage ich und füge scherzhaft hinzu: „Wenn du bei deiner Schnelligkeit nicht
plötzlich Nájera hinter dir liegen gelassen hast.”
Er
lacht. „Viele Leute meinen, ich sei zu schnell. Aber im Innern ruhe ich.” Dann
geht er eilends zur Tür hinaus.
Jemand
ruft ihm etwas zu, aber da ist er schon weg. Dann springt ein Feldarbeiter von
seinem Hocker auf und läuft zur Tür. Er ruft Jörg zurück, der wohl den falschen
Weg eingeschlagen hat. Der Mann muss doch ruhiger werden, sonst kommt der nicht
in Santiago an!
Als
habe er meine Gedanken gelesen, streckt er den Kopf zur Tür hinein und meint:
„Ihr Sauerländer Mädels bringt mich ganz durcheinander.” Und auf mich zeigend,
fügt er hinzu: „Wenn du dein Buch schreibst, vergiss mich nicht!” Dann ist er
weg. Diesmal auf dem richtigen Weg.
Chris
sieht Wolfgang draußen an einem kleinen Tisch sitzen und gesellt sich zu ihm.
Ich möchte auch nach draußen, nutze aber die Gelegenheit, meine Gedanken
niederzuschreiben. Der Tag war bis jetzt voller Eindrücke. Heute habe ich
meinen Gedankentag! Gibt es da nicht irgendeine Werbung, worin jemand so
ungefähr wie: früher oder später kriegen wir Sie doch !, sagt?
Ja,
früher oder später wird wohl jeder Pilger von seinen Gedanken über seinen
Lebensweg, seine Sorgen, die er auch noch zusätzlich zu seinem Rucksack trägt,
eingefangen. Jeder, der mich auf dem Camino ein Stück begleitet und jeder, der
mich überholt, hat seine Gründe zu pilgern. In Klarheit mit sich und was ihn
bewegt, zu kommen. Vielleicht kommen die Gedanken und die Klarheit aber erst
nach dem Pilgern. Wer weiß!
Chris
kommt herein und bestellt eine Cola.
„Dann
kannst du für mich noch einen Café con leche bestellen”, sage ich und frage
gleichzeitig, was es denn so viel zu lachen gibt.
„Ach,
Wolfgang erzählt mir Geschichten aus seinem Paukerleben. Da geht es ja manchmal
ganz schön ab im Unterricht. Bis gleich”, dann ist sie auch schon weg.
Eigentlich möchte ich auch draußen so richtig faul in der Sonne sitzen. Aber
ich bin mal wieder einen Tag mit der Schreiberei in Verzug. Nach dem Streit von
heute Morgen, konnte ich mich doch nicht mehr so recht aufs Schreiben
konzentrieren. Der Kaffee kommt und kaum, dass ich den Stift zur Hand nehme,
meldet sich auch schon wieder ganz unverblümt, meine ach so kleine, freche
Stimme.
Stell
dir vor, dein Leben sei auf einem Kreis dargestellt.
Ich
habe jetzt aber keine Lust, mir deine Ratschläge oder andere enthusiastische
Dinge von dir anzuhören. Ich möchte einfach nur das niederschreiben, was Chris
und ich erlebt haben!
Nun
hat mein kleines Stimmchen wohl heute einen Narren an mir gefressen, denn es
plappert weiter lustig drauf los.
Du
kannst mich aber nicht abstellen, zwitschert es!
Ich
gebe mich geschlagen. Gut, dann stelle ich mir halt eben meinen Lebenskreis
vor. So fantasielos bin ich ja auch nicht.
Also,
du bist auf diesem, deinem Kreis unterwegs. Erst als Baby, dann als Kleinkind,
als Jugendliche, als Erwachsene und schließlich als hochbetagter Mensch. Tag
für Tag, Nacht für Nacht und Jahr für Jahr drehst du deine Runden auf diesem
Kreis. Mal schneller, mal etwas langsamer. Vielleicht auch mal pausierend.
Sicherlich, denn du brauchst auch Zeit, um mal nach Luft schnappen zu können.
Viele Dinge, die du in deinem bisherigem Leben getan
oder erfahren hast, die du nicht verarbeitet hast, begegnen dir irgendwann,
irgendwo, auf diesem deinem Lebenskreis wieder. Vielleicht in anderer Form.
Aber wenn du genau hinschaust, wirst du sie wieder erkennen. Vielleicht
begegnen sie dir nur einmal, vielleicht auch öfters. Das hängt davon ab, was du
daraus machst. Wie du dich damit auseinandersetzt.
Na
ja, hebt jetzt meine ungläubige Stimme an.
Was
hat das denn mit dem Jakobsweg zu tun?
Sei
doch nicht so ungeduldig, höre doch einfach mal zu. Bleiben wir bei deinem
Lebenskreis, den du auch wie deine eigene Wohnung betrachten kannst. Du hast
die Möglichkeit, deinem Kreis oder deiner Wohnung Farbe zu geben. Du
Weitere Kostenlose Bücher