Cafe con Leche
heute!
Hospital
de Órbigo
Die ersten Kilometer
habe ich schließlich schon hinter mir. So sitze ich gemütlich bei einer Tasse Café
con leche, esse ein Brötchen — kein Baguette — und rauche anschließend eine
Zigarette. Ich hole mein Tagebuch aus dem Rucksack und schreibe. Dabei stelle
ich fest, dass auch ich das Alleinsein heute genieße. Oft, wenn Chris neben mir
sitzt, während ich schreibe, beschleichen mich Schuldgefühle. Dann denke ich,
dass es für sie doch langweilig sein muss, immer neben einer schreibenden Mutter
zu sitzen. Andererseits, wie will ich denn all die Geschehnisse behalten
können, wenn ich sie nicht niederschreibe?
El
sol lacht mir durch die Fensterscheibe ins Gesicht und mir wird nun nach der
Morgenkühle endlich warm. Ich muss wieder daran denken, wie naiv ich doch von
Deutschland aus gestartet bin. So ohne Vorstellung von der Landschaft und von
der Kälte in der Nacht. Was haben wi r in den Nächten, die wir gezeltet haben,
gefroren! Oder, dass wir uns durchschnittlich in einer Höhe zwischen sechs- und
neunhundert Meter befinden. Nein, diesbezüglich war ich nicht vorbereitet! In
Burgos habe ich mir dann eine Jacke kaufen müssen, weil ich nichts Warmes mehr
zum Anziehen hatte. Ich muss innerlich schmunzeln, dass ich so blauäugig zum
Pilgern aufgebrochen bin. Für mich war es: hinfliegen, über die Pyrenäen gehen
und dann immer nur noch geradeaus. Wiederum: Hätte ich das alles schon zuhause
gewusst, wer weiß. Vielleicht hätte ich da dann schon gestöhnt! Wir haben einen
Plan, auf dem alle Etappen und Herbergen verzeichnet sind. Gleichzeitig ist
jede Etappe in Höhenmeter gezeichnet, sodass man erkennen kann, ob die
jeweilige Tagesstrecke steil oder nur hügelig ist. Natürlich gibt es au ch
Strecken, die fast ganz flach sind. Dann schaffen wir auch dreißig bis fünfunddreißig
Kilometer, ohne abends total erschöpft zu sein. Aber das ist eher die Ausnahme.
Anfangs habe ich auf die Etappenkarte geschaut, um zu wissen, was an
Anstrengung vor uns liegt. Aber ich mag nicht mehr darauf schauen. Ich weiß
zwar, dass der höchste Berg, mit seinen sechzehnhundert Metern, noch auf uns
wartet. Aber der liegt hinter Astorga. Bis dahin ist noch ein Stück zu gehen.
Das wi rd sicherlich eine Rackerei und es wird wieder viel Schweiß fließen. Ich
werde sicherlich wieder keuchen, prusten, stehen bleiben, weil ich nicht mehr
kann. Und dann wieder weitergehen müssen. Es kommen ja noch immer keine Busse
oder Taxen, die mich mitnehmen. Ich wollte pilgern, also muss ich ran und für
mein Ziel etwas tun. Wie im Leben. Mal hoch, mal runter und dann wieder hoch.
C’est la vie! Und, wenn ich dann oben angekommen bin, freue ich mich wie ein
Schneekönig. Dann sehe ich, dass sich die Mühe gelohnt hat, dass ich meinem
Ziel näher gekommen bin. Dieser Weg ist halt mit viel Anstrengung verbunden.
Sehr wahrscheinlich nährt sich all die Vegetation hier am Wegesrand vom Schweiß
der Pilger! Ich habe mich damit abgefunden, dass es bis Santiago de Compostela
hoch und runter geht! Wenn’s hoch geht, geht’s hoch! Wenn der Berg kommt, dann
wird er halt bestiegen, egal, wie ich darüber komme und ich freue mich jetzt
schon über jeden Kilometer, den ich S antiago näher komme. Das Ziel wird
greifbarer. Es mögen vielleicht noch so an die zweihundertsechzig Kilometer
sein. Wir haben schon fünfhundertfünfzig Kilometer geschafft! Ich empfinde
Stolz, während ich das niederschreibe, denn bis hierhin gekommen zu sein, ist
für mich eine beachtliche Leistung!
Ein
Ruck geht durch Deutschland, sagte einst der ehemalige Bundespräsident Roman
Herzog.
Ein
Ruck geht durch mich !, sage ich mir. Auf! Los geht’s!
Ich packe meine Sachen zusammen und bezahle. Dann geht es hinaus in die
Morgensonne und entlang der Landstraße weiter. Ich genieße das Alleinsein, so
im Strom mit den Autos. Kurz vor San Justo de la Vega steht ein großes Schild
am Straßenrand. Camino de Santiago steht in großen Lettern darauf. Also bin ich
doch den Pilgerweg gegangen! Doch nicht vom Pilgerweg abgewichen! Es ist halt
eben nur der Weg für die Autofahrer. Ich fühle mich erleichtert und verlasse
die Hauptstraße.
Das
letzte Stück möchte ich doch lieber zu den anderen Pilgern stoßen. So ist auch
sicherlich die Herberge in Astorga leichter zu finden. Im nächsten Ort kaufe
ich mir in einem kleinen Lädchen eine Cola. Damit setze ich mich auf eine Bank
und hole mein Tagebuch aus dem Rucksack. Wo Chris jetzt wohl sein
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