Cafe con Leche
Andererseits haben
wir aber auch schon öfter darüber gesprochen, falls wir uns verlieren sollten,
dass wir dort, wo wir übernachten wollen, den größten Marktplatz oder die Información
de tourística aufsuchen, damit wir einander wieder finden.
Das
Touristikbüro liegt direkt an der Kathedrale. Ich gehe hinein. Mit dem
Angestellten dort kann ich mich auf Englisch verständigen.
„Ich
habe meine Tochter verloren”, beginne ich das Gespräch.
„Was?
Soll ich die Polizei alarmieren?”, fragt er besorgt zurück.
„Nein,
nein!” Ich erzähle ihm, dass meine Tochter höchstwahrscheinlich das
Touristikbüro aufsuchen wird. „Sie trägt einen
Strohhut und hat ein grünes Tuch um die Schulter. Der Rucksack hat eine
hellblaue Farbe.” Anschließend schreibe ich Christine eine Nachricht, dass sie
mich im Café an der Kathedrale finden kann, und gebe sie ihm.
„Wenn
ich ihre Tochter sehe, gebe ich ihr die Nachricht. Sie werden bestimmt ihre
Tochter wieder finden und alles wird gut!”
Ich
nicke und bedanke mich. Dann laufe ich zum Café, wo ich mich unter einem
Sonnenschirm setze. Von dort aus kann ich den Eingang zur Información de tourística
sehen.
Lieber
Gott! Bitte! Lass sie hierhin gehen, flehe ich.
Der
Kellner kommt und ich bestelle mir eine Tasse Café con leche, hole mein
Tagebuch aus dem Rucksack, kann mich aber nicht konzentrieren. Ständig kommen
Pilger an mir vorbei und ich schaue immer wieder auf. Vielleicht ist Chris
dabei! Doch ich kann sie nirgends erblicken. Noch nicht einmal ein bekanntes
Gesicht von San Martin. Ich kann keinen fragen, ob er Christine gesehen hat.
Unruhe macht sich in mir breit und Angst ist auch dabei. Es vergehen mindestens
zwei Stunden, als ich plötzlich Christine durch die Fußgängerzone hochkommen
sehe. Ich bin so freudig erregt, springe auf und laufe ihr lachend entgegen.
Lieber Gott, vielen Dank!
„Chris,
nicht noch einmal so! Hörst du! Wenn du mal alleine gehen willst, kannst du das
ja ruhig machen. Das verstehe ich gut. Den ganzen Tag sich auf der Pelle zu
hängen, ist ja auch manchmal ziemlich anstrengend!”
Mehr
sage ich nicht. Dann drücke ich sie, glücklich, meine Tochter wieder zu haben
und wir vertragen uns.
„Ich
war schon in dem Kloster und habe nach dir gefragt ,” sagt Chris. „Das heißt nicht Santa Maria, sondern Siervas de Maria. Dort habe
ich auch nach dir gefragt.”
„Ach
Chris, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass wir uns
wiedergefunden haben!” Schlagartig geht es mir gut. Wir drücken uns noch
einmal. Chris trinkt eine Cola, ich noch eine Tasse Café con leche. Dann
brechen wir zur Herberge auf. Wir bezahlen zusammen acht Euro für die Übernachtung
und lassen uns einen Stempel in unsere Pilgerausweise geben. Wir haben ein
schönes, kleines Schlafzimmer, das wir mit einem jungen Pärchen aus Spanien
teilen. Nach dem Duschen suchen wir einen Supermarkt auf und kaufen für unser
Abendessen ein. Da Astorga die Schokoladenstadt Spaniens ist, wollen wir
natürlich auch Schokolade essen. In den kleinen Lädchen und Cafés liegen
allerlei Sorten in den Schaufenstern aus. Schokolade mit Gummibärchen,
Schokolade mit Mohn, Schokolade mit Hanf... Man stelle sich das mal in
Deutschland vor! Es gibt eine Einkaufspassage voller Schokoladenlädchen. Das
Schokoladengeschäft boomt und die Leute kaufen. Christine kauft auch. Sie
genehmigt sich eine Cappuccinoschokolade, mir schenkt sie eine
Marzipanschokolade. Mit Frankfurter Würstchen, Eiern, Brot und Schokolade
kehren wir zur Herberge zurück. Aus den Eiern bereiten wir uns ein Omelette zu und setzen uns zum Essen auf die Terrasse.
Eine deftige Mahlzeit, die lecker schmeckt. Ich habe das Gefühl, endlich satt
geworden zu sein. Nach dem Essen hänge ich unsere gewaschene Wäsche von der
Leine. Heute Abend will ich früh im Bett liegen. Der Tag und die Hitze haben
mich geschafft. Christine ist auch groggy. Morgen wollen wir früh raus.
Rabanal
del camino ist unser nächstes Ziel. Der hohe Berg von sechzehnhundert Metern
liegt vor uns. Und wenn es wieder so heiß wird wie heute, liegt noch manche
Anstrengung vor uns. Morgen wird bestimmt viel Schweiß fließen! Gegen
einundzwanzig Uhr gehen wir zu Bett. Das junge Pärchen schläft schon. Beide
sind gestern erst gestartet. Sie hat einen Sonnenbrand auf ihren Beinen. Daran
sind Pilger, die gerade ihren Weg bei solch einer Hitze antreten, zu erkennen.
Meistens haben sie einen Sonnenbrand auf den Beinen und den Armen.
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