Cafe con Leche
es die
Ecken, die voller Staub und Spinnenweben sind. Auch scheinen manche Herbergen
ein Herz für kleine Tiere zu haben. Ich nicht! Seitdem ich den Pilzbewuchs in
den Duschen gesehen habe, gehe ich nicht mehr mit meiner Brille auf der Nase
ins Bad!
Während
wir so bei Tisch sitzen, meint Chrissi plötzlich: „Mama, ich habe gerade mal so
hochgerechnet. Die nehmen hier, bei einer Bettenzahl von einhundertzwanzig,
mindestens 11.500,- Euro im Monat ein. Davon könnten doch wohl zwei Putzfrauen
bezahlt werden. Hier guckt keiner nach der Instandhaltung. Die nehmen das Geld
von den Pilgern dankend entgegen, geben aber, aus hygienischer Sicht gesehen,
keine Gegenleistung. Verstehe das einer. Ich verstehe das nicht! Was machen die
mit dem ganzen Geld?”
Ich
kann die Frage nicht beantworten und so wird sie auch für uns noch nach dem
Pilgern unbeantwortet bleiben.
Trotz
alledem essen wir unsere Nudel-Bolognese in aller Ruhe
genüsslich weiter. Anschließend begeben wir uns in den Schlafsaal. Heute wird
Siesta gemacht. Kaum, dass wir in unseren Betten liegen, wird der Schlafsaal
von einem Getöse und Geknatter erfüllt.
„Was
ist das denn?”, frage ich Chris, die über mir liegt.
Antwort:
„Hört sich wie Wale an, die ihres Weges ziehen. Vielleicht kämpft Gregory Peck
ja gerade mit Mobby Dick!”
Ich
muss lachen.
„Nein”,
sage ich. „Hört sich so an, als würde die Queen Mary hupend durch den
Schlafsaal dampfen!”
Das
Getöse und Geknatter hört nicht auf. Ich will wissen, woher die Geräusche
kommen und krabbel aus dem Bett. Dem Krach folgend,
stehe ich nun im angrenzenden Duschraum. Eine Dusche ist die Quelle dieses
Übels. Jedes Mal, wenn das Wasser angestellt wird, fängt das Wasserrohr wohl zu
tanzen und vibrieren an. Ich weiß, dass ich zuhause
über so viel Krach und Unruhe sichtlich genervt wäre. Doch hier stimmt mich
jeder Kilometer Richtung Santiago ruhiger. Ich bin schon sehr verwundert. Aber,
was soll’s! Der eine schnarcht, der andere redet laut, der nächste sieht im
Bett fern und hier rauscht halt die Queen Mary durchs Schlafzimmer. C’est la
vie! So ist das Leben! Ich habe Oropax! In Spanien ist halt alles lauter.
Kleine Kinder schreien, die Jugend ist laut und die Alten müssen laut
miteinander reden, damit sie einander verstehen. C’est la vie!
Ich
krieche in den Schlafsack und stecke mir die Ohrstöpsel in die Ohren.
Hoffentlich haben meine Bettnachbarn auch Ohrstöpsel, denn mein Geschnarche
artet ins Unmenschliche aus. So meinen jedenfalls meine Kinder. Kaum, dass ich
liege, schlafe ich auch schon tief und fest. Von der Queen Mary höre ich nichts
mehr. Gegen halb acht Uhr weckt mich Chris. Sie schmiert für uns ein paar
Brote. Danach geht sie mit Juan, mit dem sie heute Morgen vor der Herberge ins
Gespräch gekommen ist, in die kleine Stadt. Ich gucke nach der Wäsche, die aber
noch nicht trocken ist. Dafür liegt mein T-Shirt unten in den Büschen. Ich
laufe die Treppe hinunter. Unten angekommen, stehe ich vor einem Bauzaun, der
sich um das Areal, in dem mein T-Shirt liegt, steckt. Was nun? Zwanzig Meter
von mir entfernt liegt mein Lieblings-T-Shirt und das möchte ich nicht missen.
Der Himmel ist wieder wolkenbehangen und der Wind pfeift. Es ist kalt.
Frierend
stehe ich im Hemdchen vor dem Bauzaun. Wenn ich keine Lücke finde, muss ich
also rüber, denke ich mir. Als ich mich so hochhangel, kommt just ein älterer
Señor des Weges.
„No,
no!”, sagt er kopfschüttelnd.
Bevor
er denken kann, dass es sich sicherlich nicht für eine 53jährige Frau geziemt,
über einen Bauzaun zu klettern, spreche ich ihn an.
„Mein
T-Shirt”, sage ich auf Deutsch zu ihm und zeige auf mein Kleidungsstück, das
wie eine Fahne im Winde weht. Er hat mich sicherlich nicht verstanden, bleibt
aber stehen und kommt einen Schritt auf mich zu.
„Dahinten
hängt mein T-Shirt im Gebüsch”, sage ich ihm und zeige darauf. Er schaut und
schaut!
Doch
dann hat auch er es gesehen.
„Sí,
sí“, sagt er jetzt und lacht. Er gibt mir zu verstehen, darüber zu steigen.
Jetzt lache ich auch und schon bin ich über den Zaun. Der Señor wartet. Mit
fliegendem T-Shirt in der Hand und stolz wie Oskar klettere ich wieder über den
Bauzaun zurück auf den Bürgersteig. Ich strahle übers ganze Gesicht, als habe
ich gerade eine Trophäe errungen.
„Sí,
sí“, lacht er und nickt mir zu. Buen camino!
„Gracias”,
sage ich lachend zurück. Dann geht er wieder seines Weges.
Ich
packe das Shirt in den
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