Café der Nacht (German Edition)
himmelblau aus, sanft auf den Zweigen der Wälder. Es war leicht, vor sich hinzudösen in der gemächlichen Karawane der Lastwagen. Die stickige Heizungsluft blies ihm ins Gesicht. Mit etwas Glück konnte er es bis morgen Mittag bis Nîmes schaffen. Und wenn er noch mehr Glück hatte, wohnte Gypsy immer noch am selben Ort. Nicht ohne Grund trug sie diesen Namen.
* * *
Die alte, malerische Schänke, die einsam irgendwo in der Weite Südfrankreichs lag, war so tief eingeschneit, dass man sich unwillkürlich fragen musste, ob ihr Dach ein solches Gewicht dauerhaft aushalten konnte. Ein schmaler Gang war bis zum Eingang gegraben. Der Aushub verbarg die erleuchteten Fenster der Gaststube fast völlig. Die winzige, kurvenreiche Straße, unweit derer sie lag, war nicht freigeräumt. Auf einen solchen Wintereinbruch war hier keiner vorbereitet gewesen. Monroe war die sechs Kilometer vom nächstgelegenen Dorf zu Fuß gegangen, weil es aussichtslos gewesen wäre, in dieser Einöde auf eine Mitfahrgelegenheit zu hoffen.
Die Decke der Schankstube war niedrig, uraltes, dunkles Holzgebälk. Ein einziger, einsamer Gast saß am offenen Kamin und wärmte die verfrorenen Finger an einem heißen Getränk. Er sah auf, als Monroe eintrat und nickte ihm fast verlegen zu, als wollte er sagen: Na, auch vom Wetter überrascht worden?
„Bonjour, Monsieur.“
Monroe erwiderte den Gruß, zog sich den feuchten Schal vom Hals und sah sich in dem urigen Raum um. Das Feuer knackte und knisterte anheimelnd, funkenspuckend. Der Tresen lag verlassen. Monroe lehnte sich abwartend daran und stellte seinen halbleeren, vom Schnee völlig durchnässten, Seesack ab. Der andere Gast teilte ihm mit, die Wirtin sei oben und käme gleich zurück. Monroe gesellte sich zu ihm und sie plauderten ein wenig auf Französisch. Monroe hatte sich nie schwergetan, Sprachen zu lernen. Es war hilfreich, um sich jeder beliebigen Umgebung perfekt anzupassen. Der Mann hieß Lothaire und war ein zweifacher Familienvater, der sich verfahren hatte und ohne Winterreifen nicht weiterkam. Er machte sich Gedanken darüber, dass seine Frau sich sorgen würde, wenn er heute Nacht nicht nachhause kam. In der Schänke gab es kein Telefon.
An der gegenüberliegenden Zimmerseite öffnete sich eine Tür, mittelalterlich niedrig, und eine schwarzhaarige Frau kam geduckt herein. Als sie sich aufrichtete, breitete sich ein Lächeln auf Monroes Gesicht aus. Sie erblickte ihn und starrte ihn für einen Moment ungläubig an. „Tintin?“
Ihm hatte immer gefallen, dass sie den Namen französisch aussprach. Ihre Stimme war rauchig, sie war älter geworden, aber sie sah immer noch fabelhaft aus. Ihre strahlendblauen Augen lachten, als sie zu ihm eilte und ihn in eine feste Umarmung zog. „Was in aller Welt machst du denn hier?“
„Ich dachte, ich schau mal rein.“ Er grinste.
„Du Schlitzohr. Lass dich ansehen!“ Sie hielt ihn eine Armlänge weit weg und studierte ihn eingehend von oben bis unten. „Etwas mager bist du geworden. Aber sonst ...“ Sie machte eine anerkennende Miene und lachte. „Komm, komm. Du bist ja völlig durchgefroren.“ Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Kamin hinüber. „Setz dich.“ Sich an den anderen Gast wendend, wies sie auf die Tür, durch die sie hereingekommen war, und reichte ihm einen Zimmerschlüssel. „Voila, Monsieur. Votre chambre est juste à côté de l'escalier. J'ai attisé.“
„Ah, merci beaucoup.“ Höflich zog sich der Mann zurück.
Sie drückte Monroe in einen Ohrensessel. „Was für eine Überraschung. Was möchtest du trinken?“
„Gypsy, nun setz dich erst einmal zu mir.“
„Nichts da, das ist meine Schänke, und wenn ich dir etwas zu trinken anbiete, dann trinkst du auch was!“
Er sah ihr mit stillem Amüsement zu, wie sie heißen, gewürzten Wein für ihn holte. Erst dann ließ sie sich nieder. „Das ist ein altes Rezept. Eine Frau aus Andalusien hat es mir verraten.“
„Du bist ja erschreckend häuslich geworden.“
„Nicht wahr? Ich bin stolz darauf.“ Sie lächelten einander an. „Ich glaub es nicht, mein Tintin. Ich dachte, du wärst längst hops gegangen.“
„Dachte ich auch von dir.“
„Tja, wir beide sind nicht so leicht totzukriegen.“
„Dabei bemühen wir uns so.“ Sie lachten. Es war wunderbar, sie wiederzusehen . Wann immer er bei Gypsy war, sah er seine Kindheit. Diese Frau kannte als einziger Mensch die ganze Geschichte.Sie blickte ihn liebevoll an und legte dann
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