Café der Nacht (German Edition)
beiden nachblickte. „Sollte sie auch. Das ist Monroe.“
Alte Freunde
H E U T E
Es war Tag eins nach Maxims Rückkehr ins ehemalige Café der Nacht. Er hatte nicht unweit in einem kleinen, adretten Hotel genächtigt. Die Morgensonne brach vorwitzig durch die Wolken, als er auf die Straße trat. Das Kopfsteinpflaster war noch glitschig von Raureif, die Luft schwer vor feuchter Kälte. Er war mit Hummelig verabredet, der nach wie vor sein Varietébetrieb. Er hatte am Telefon begeistert geklungen, von Maxim zu hören. Seine Ohrmuschel dröhnte noch jetzt von Hummeligs kräftigem, brummendem Bass.
Maxim war früh dran und der Weg war kurz, daher ließ er sich Zeit und genoss den Spaziergang durch die alten, wundersam vertrauten Gassen. Das Viertel schien ihm weitaus schäbiger und verfallener, als er es in Erinnerung hatte. Viele Fenster blickten vorhanglos und trübsinnig in die Welt hinaus, ganze Stockwerke wirkten unbewohnt.
Maxim fand sich viel zu schnell vor der Eingangstür der Hummel wieder. Sie ließ sich mit leichtem Kraftaufwand aufziehen. Er trat ins staubkornumwehte Halbdunkel des großen Vorraumes. Die Räumlichkeiten hatten sich irgendwie den rotplüschigen Fünfzigerjahre-Charme aus ihrer Glanzzeit bewahrt, obwohl so gut wie nichts mehr von der Originaleinrichtung erhalten war. Da Maxim noch immer fast zehn Minuten zu früh war, schlenderte er zur großen Fotowand hinüber, wo sich ein hochglänzendes, signiertes Künstlerportrait ans nächste reihte. Seine besonderen Lieblinge hatte Hummelig in schnörkelige Goldrahmen gepackt. Schwarzweiß und ausdrucksvoll blickten Maxim die alterslosen Gesichter an, von denen ihm noch eine ganze Menge bekannt waren. Mehrmals musste er leise lachen, während er mit zusammengekniffenen Augen die Widmungen entzifferte. Er verspürte einen leichten, wehmütigen Stich, als er auf einem Foto Schlangenfrau Kiki erkannte, übermenschlich verknotet und dabei gelassen in die Kamera strahlend. Gemächlich schritt er weiter, lächelte alte Weggefährten an, die steif aus den Rahmen zurücklächelten. Was war wohl aus ihnen allen geworden? Maxim blieb stehen, als er ein goldgerahmtes Gruppenfoto erreichte. Es stach hervor, weil es größer war, als die anderen. Er hatte es nie zuvor gesehen. Es war ein Schnappschuss auf der Bühne in voller Aktion. Das Foto hatte keine Widmung, dafür eine Bildunterschrift in patzigen Schreibmaschinenbuchstaben: „Letzte Vorstellung, Revoschizionäre, 17. November 1987.“ Es folgte eine Auflistung der Namen von links nach rechts. Monroe stand ganz rechts am Rand der Bühne des mittlerweile nicht mehr existierenden Kaleidoskops , und doch schien aller Fokus auf seinem Gesicht zu liegen, als würde er das Scheinwerferlicht magisch anziehen. Sinnend betrachtete Maxim das kontrastreiche Foto. Oft hatte er diesen Ausdruck gesehen, verwegen-spöttisch, die intensiven Augen voller Lachen. Verrückte, wunderbare Zeit. Fast meinte er, den vertrauten, angestaubten Geruch des alten Kellerlochs in der Nase zu haben. Er schloss die Augen und sah die Truppe im Geiste auf der Bühne, ihren begeisterten Beifall in Empfang nehmend. Monroe zog sich als Erster zurück, grinsend, eine Hand winkend, die andere frech den Mittelfinger erhebend, eine Geste, die Kultcharakter erlangte. Maxim war plötzlich, als könnte er ihn leise lachen hören, dicht an seinem Ohr. Gänsehaut. Er zwang sich, die Augen zu öffnen und weiterzugehen.
Ein Portrait von Vida hing gleich daneben, und Sehnsucht riss an seinem Herzen. Er hatte viel zu spät begriffen, was Vida für Monroe gewesen war. Doch wie hätte er das ahnen können? Monroe sprach praktisch nie über seine dunkle Vergangenheit. Vida, ein Anagramm für Diva, und zugleich der Name des Lebens. Sie war so viel mehr gewesen als eine Verkleidung, die geniale Spielerei eines Schauspielers. Sie war seine Art gewesen, den Dingen, die ihn quälten, seinen Dämonen, wie er sie nannte, hin und wieder für kurze Zeit zu entfliehen. Er hatte sicher nicht geplant, dass dieses Alter Ego anderen Menschen so wichtig werden könnte. Vor allem nicht Maxim.
Maxim hatte keinerlei Probleme, Vidas weiblich-schwungvolle Widmung zu lesen: Meinem liebsten, besten Hummelig. Du bist unser Fels im Sturm des Lebens.
Er fühlte zwei gerührte Tränen in seine Augen schießen und rang für einen Moment um Fassung. Seine Rückkehr, die direkte Konfrontation mit der Vergangenheit, traf ihn mit unerwarteter Tiefe, ungeschützt.
„Ah,
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